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Die blinde Tram

Von Matthias Winterer

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Als bekennender Radfahrer, der mutig Wind, Wetter und den Unannehmlichkeiten der Jahreszeiten trotzt, kommt man nur allzu selten in das vermeintliche Vergnügen, den öffentlichen Verkehr der Hauptstadt zu nutzen. Wenn es jedoch, alle heiligen Zeiten, doch einmal sein muss - sei es wegen pedalscheuer Begleitungen, sei es wegen eingefahrener Glassplitter oder genereller Luftlosigkeit – entscheidet sich der Radfahrer naturgemäß für die Straßenbahn. Schließlich ist er es gewohnt, überirdisch zu reisen.

Eine Tram ist die frivole Variante der U-Bahn. Ein bisschen weniger zuverlässig, ein bisschen untüchtiger, herausfordernd langsam und trotzdem irgendwie sympathisch. Wie ein Relikt vergangener Tage, das unverschämt in die schnelle Gegenwart ragt. Wären die Verkehrsmittel Berufe, dann wäre die Straßenbahn der schludrig grantige Hausmeister und die U-Bahn der gelackt zielstrebige "Facility Manager".

An sonnigen Frühlingstagen kann es eine wahrer Genuss sein, gemütlich durch die Stadt zu tuckern und gedankenverloren das Treiben auf den Straßen zu beobachten. Der bekennende Radfahrer springt also voller Vorfreude in die Straßenbahn seiner Wahl, wirft sich auf einen der freien Plätze am Fenster - und wird maßlos enttäuscht. Anstatt der Welt, sieht er schwarz.

Das Fenster vor seiner Nase ist komplett mit Werbung zugeklebt. Natürlich kennt der Radfahrer die Mechanismen der freien Marktwirtschaft und natürlich weiß er, dass es seit geraumer Zeit zur Gänze mit Werbebotschaften übersäte Straßenbahnen gibt. Doch diesmal sieht er gar nicht mehr raus. Nur umrissartig ist das Leben auf den Straßen zu erahnen.

Fassungslos sitzt er vor der verdunkelten Scheibe, den soeben erstandenen 2,50 Euro teuren Fahrschein in den Händen. Denn der Werbung zum Trotz, ist Straßenbahnfahren so teuer wie noch nie, zumindest, wenn man keine Jahreskarte besitzt, was bekennende Radfahrer selten tun. Ernüchtert macht er es wie die anderen und starrt dumpf auf sein Handy