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Bunt allein ist zu wenig

Von Walter Hämmerle

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Die wachsende Zahl der Parteien hat nicht zu einer besseren Integration der politisch Frustrierten geführt.


Die 751 nach den Regeln des Verhältniswahlrechts ermittelten Abgeordneten des Europäischen Parlaments stammen nicht nur den 28 Mitgliedstaaten der EU, sondern darüber hinaus auch auch noch aus 160 verschiedenen Parteien. So ungefähr jedenfalls. Damit so etwas wie Parlamentarismus deshalb überhaupt funktionieren kann, haben sich die Abgeordneten im EU-Parlament zu acht Fraktionen zusammengeschlossen, die so etwas wie eine weltanschaulich kohärente Weltsicht sicherstellen sollen. Zumindest in den allerwichtigsten politischen Fragen. Weil aber selbst dann noch die Suche nach stabilen Mehrheiten mehr mit einem Glücksspiel als mit einer repräsentativen politischen Willensbildung zu tun hat, agiert - zumindest bisher - eine informelle große Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten auch auf europäischer Ebene.

In den Niederlanden teilen sich zehn Parteien die 150 Sitze, mehr als zwanzig politische Bewegungen waren 2012 angetreten, um einen Sitz zu ergattern. Auf so viele unterschiedliche Überzeugungen muss man auch erst kommen.

In Österreich sitzen aktuell sechs Fraktionen im Nationalrat, das ist nach wie vor überschaubar, aber natürlich kein Vergleich zu jenem zweieinhalb Parteiensystem, das der Republik bis Mitte der 1980er Jahre seinen Stempel aufgedrückt hatte.

Die Politik wurde dadurch zweifellos bunter, lebendiger und innovativer, jedenfalls im direkten Vergleich zum Status quo ante. Nur zeigten sich die Parteien außerstande, die theoretisch gegebenen neuen Möglichkeiten auch in konkrete Politik umzumünzen. Statt neue Koalitionsvarianten und Regierungsformen zu versuchen, flüchteten sich SPÖ und ÖVP in große Koalitionen, die über die Jahre immer kleiner und politisch immer ängstlicher wurden. Nur einmal wurde versucht, as diesem starren Korsett auszubrechen, doch Schwarz-Blau erlitt Schiffbruch,
das politische Erbe wird teilweise noch heute vor den Gerichten aufgearbeitet. Die Folge: die Wiederauferstehung der großen Koalition mangels stabiler alternativer Regierungsvarianten. Von der damit einhergehenden fortgesetzten Frustration weiter Wählerschichten profitiert wiederum nur die FPÖ. Warum das so ist, muss man allerdings zuvorderst Grüne, Neos und Team Stronach fragen.

Österreich steht mit diesem Problem nicht allein da, und ein Blick auf jene Länder mit einem Mehrheitswahlrecht zeigt, dass sich darin kein Allheilmittel für die Leiden unserer postmodernen Demokratie findet.

Egal, welche Wahlrechtsvariante man den Vorzug gibt, entscheidend ist, dass es nicht nur zu einer einfacheren Mehrheitsbildung kommt, sondern auch, dass es die Machtablöse regierender Parteien und Koalitionen fördert. Jedes Regieren führt zu Enttäuschungen und Frustrationen; und diese Gefühle lassen sich nur dann halbwegs reibungslos in den politischen Prozess integrieren, wenn es in regelmäßigen Abständen, die auch nicht zu lang sein dürfen, zu einem Wechsel der Oppositionsparteien auf die Regierungsbank kommen kann.

Das bedeutet aber keinen automatischen Regierungsanspruch einer einzelnen Partei. Jede Bewegung ist schon selbst dafür verantwortlich, dass sie Partner findet.