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Unter Nachbarn

Von Walter Hämmerle

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Noch immer sind viele überzeugt, dass globale Probleme auch nach globalen Lösungen verlangen. Diese Vielen werden allerdings weniger.


Relativ unbemerkt von der heimischen Öffentlichkeit ist vergangene Woche der US-Politologe Benjamin R. Barber im Alter von 77 Jahren verstorben. Seine scharfzüngige, gleichwohl inhaltlich differenzierte Kritik an der repräsentativen Demokratie unter den Bedingungen einer alle Grenzen und Schutzräume durchdringenden Globalisierung verdient es sich, in Erinnerung behalten zu werden.

Immerhin erweist sich die Herausforderung, unter solchen Voraussetzungen die Idee von Gemeinschaft neu zu begründen und, dies vor allem, anschließend mit Leben zu erfüllen, als wesentlich schwieriger als sich das viele vorstellen. So viel jedenfalls steht nämlich mittlerweile schon fest: Die Versuche, der wirtschaftlichen Logik folgend, auch die politischen und sozialen Räume tendenziell ins Unendliche, jedenfalls ins Größere auszuweiten, waren bisher nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Das erlebt Europa seit Jahren quasi täglich.

Benjamin Barber plädierte kämpferisch und unverdrossen für den umgekehrten Weg: Das Bedürfnis der Menschen nach Geborgenheit und Mitsprache, also quasi die Quintessenz von Demokratie, lasse sich am besten auf der kleinteiligen, der lokalen Ebene in die Wirklichkeit umsetzen: das Dorf, die Stadt als ideale politische Einheit. Nur so ließen sich die globalen Probleme der Postmoderne - vom Klimawandel über Migration bis hin zu Standortpolitik - von den Bürgern erfassen, diskutieren und schließlich - hoffentlich jedenfalls - auch schrittweise bewältigen. Hier fehlt sowohl die Wut der unteren auf "die da oben" als auch die Verachtung der Eliten für "die da unten".

Barbers politisches Idealkonstrukt ist allerdings kein Selbstläufer, wie man aktuell etwa in der Bundeshauptstadt aber auch darüber hinaus beobachten kann. In Wien gehören die Wut und die Verachtung zum ganz selbstverständlichen Repertoire der politischen Auseinandersetzung. Und die diversen Versuche, die Bürger direkt an den Entscheidungen zu beteiligen, waren bisher noch stets von den Interessen der politischen Parteien getrieben.

Es ist nicht ohne Ironie, dass, nachdem über Jahrhunderte hinweg verlässlich der größere Rahmen, die Anonymität des Einzelnen unter den Vielen, als bester Garant für mehr Freiheit angesehen wurde, nun das Pendel in die andere Richtung schwingt. Für den privaten Bereich war diese Entwicklung schon länger absehbar, nun erfasst es auch den politischen Bereich. Barbers Konzept der nachbarschaftlichen Demokratie hat den Vorteil, mit möglichst geringem Mediationsaufwand das Auslangen zu finden; große Parteiapparate sind eine Möglichkeit, aber keine unbedingte Notwendigkeit.

Österreich ist in dieser Hinsicht nach wie vor eine Insel der Seligen. Wer unbedingt will, findet eine Möglichkeit, sogar Kanzler und Ministern höchstpersönlich die Meinung zu sagen, die Landeshauptleute stehen haben daraus sogar einen richtigen Beruf gemacht. An lebendigen Klagemauern fehlt es also nicht.

Was fehlt, ist die Fähigkeit, in den Dörfern und Städten eine Politik umzusetzen, die den globalen Problemen gerecht wird. "Think globally, act locally" ist sehr viel leichter gepredigt, als umgesetzt.