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Unberührbarer Präsidentschafts- kandidat

Von Alexander U. Mathé

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Ein Mitglied der niedrigsten indischen Kaste könnte bald an der Spitze Indiens stehen.


Ram Nath Kovind ist ein Dalit, also ein Angehöriger jener niedrigen indischen Kaste, die früher zu den "Unberührbaren" gehörte. Die Dalits gelten als Nachfahren der indischen Ureinwohner und sind bis heute Diskriminierungen ausgesetzt. Offiziell und gesetzlich sind diese schätzungsweise 160 Millionen Menschen zwar allen anderen Indern gleichgestellt, in der Praxis zeichnet sich ihr Leben jedoch durch niedrige Arbeiten und Löhne aus. Angehörige der vier Hauptkasten vermeiden teilweise sogar die Berührung mit dem Schatten eines Dalits. Dem zum Trotz könnte Kovind allerdings schon in drei Wochen Indiens Präsident sein. Die Regierungspartei Bharatiya Janata (BJP) hat ihn diese Woche nämlich überraschend als ihren Kandidaten nominiert. Es wäre die Krönung eines beispielhaften Aufstiegs vom unterprivilegierten Bauernsohn an die Spitze des Staates. Geboren wurde Kovind 1945, als Indien noch eine britische Kolonie war. Trotz seiner bescheidenen Herkunft studierte er Wirtschaft und Jus und wurde Anwalt am Obersten Gerichtshof. Seine Leistungen wurden geschätzt und so ernannte ihn die indische Regierung 1980 zu ihrem ständigen Berater am Supreme Court - ein Posten, den Kovind bis 1993 innehaben sollte. Erst spät verspürte er den Drang, aktiv Politik zu betreiben. 1991 trat er der konservativen, hindu-nationalistischen BJP bei, um bei den Wahlen zur ersten Parlamentskammer, der Lok Sabha, zu kandidieren. Dieses Debüt endete für ihn jedoch mit einer Wahlniederlage. Dafür schaffte er 1994 den Einzug in die Rajya Sabha, die zweite Parlamentskammer, deren Mitglieder nicht direkt vom Volk, sondern von den Regionalparlamenten und dem Staatspräsidenten gewählt werden. Während der gut zwölf Jahre als Abgeordneter war er unter anderen in den Ausschüssen für Erdöl und Recht tätig. Sein großes Engagement galt aber der sozialen Gerechtigkeit und dem Komitee für Kastenwesen. Dass die Rechte unterprivilegierter Kasten im Jahr 2000 verfassungsmäßig gestärkt wurden, soll zu einem Großteil seinem Lobbying zu verdanken sein. Sollte Kovind tatsächlich am
17. Juli zum Präsidenten gewählt werden, so würde das seinen Kampf für die Gleichberechtigung der Kasten beflügeln. Zwar hat der Präsident in Indien ähnlich geringe politische Funktionen und Macht wie sein Amtskollege in Österreich. Doch gerade ein auf Repräsentation ausgelegtes Amt verleiht einem Symbol dieser Art eine besondere Strahlkraft. Die Chancen für Kovind stehen nicht schlecht. Der Präsident wird in Indien von einem Wahlgremium bestimmt, das aus Bundes- und Regionalabgeordneten besteht, und die BJP kontrolliert mit ihren Verbündeten knapp die Hälfte des Wahlgremiums.