Zum Hauptinhalt springen

Nur ein erster Schritt an die Spitze der EU

Von Martyna Czarnowska

Politik

Nach der Kür zum Kandidaten der Konservativen für die EU-Wahl warten auf Manfred Weber weitere Hürden.


Helsinki/Brüssel/Wien. Viele Minuten dauerte es, und viele Hände mussten geschüttelt werden, bis es Manfred Weber unter anhaltendem Applaus auf die Bühne schaffte. Soeben war im Kongresszentrum in Helsinki verkündet worden, dass der Deutsche zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) bei der EU-Wahl im kommenden Jahr bestimmt worden war. Hunderte Vertreter der konservativen Parteienfamilie hatten sich in der finnischen Hauptstadt versammelt, um sich in einem geheimen Votum zwischen Weber und seinem finnischen Herausforderer Alexander Stubb zu entscheiden. Wie schon im Vorfeld erwartet, gewann der CSU-Politiker: Von 619 gültigen Stimmen entfielen 492 auf ihn.

Auf der Bühne standen schon die Staats- und Regierungschefs, die Weber bereits davor unterstützt hatten: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz, Ungarns Premier Viktor Orban, der irische Ministerpräsident Leo Varadkar. Auf ihre Hilfestellung wird der 46-jährige Niederbayer im kommenden Jahr denn auch angewiesen sein, will er EU-Kommissionspräsident werden. Falls diese Regierungschefs in einem Jahr noch an der Spitze ihrer Kabinette stehen. Und falls die EVP nach der EU-Wahl im Mai ihre Position als stärkste Partei im Europaparlament beibehält. Und falls die Hauptstädte am Mechanismus festhalten, dass der siegreiche Spitzenkandidat Kommissionspräsident wird.

Werben für Werte

Es sind also etliche Hürden, die Weber noch zu meistern hat. Fürs Erste gab er aber den Startschuss für die Kampagne. "Der Wahlkampf beginnt hier in Helsinki", erklärte der EU-Abgeordnete. Nun gelte es, in alle Länder, alle Städte zu fahren, um die EU-Bürger zur Stimmabgabe zu bewegen.

Weber selbst muss diese Zeit nicht zuletzt dazu nutzen, sich den Menschen vorzustellen. Denn nicht einmal in seinem Heimatland gehört er zu den bekanntesten Politikern - obwohl er in Bayern in die Christlich-Soziale Union eng eingebunden ist. Der Ingenieur zog 2002 in den Landtag ein, war von 2003 bis 2007 Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern. Er gehört dem CSU-Präsidium, dem engsten Führungszirkel der Partei, an. Weber wird dem liberalen Flügel der Gruppierung zugerechnet; auf Konfrontationskurs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte er - im Gegensatz zu anderen Kollegen an der CSU-Spitze - nicht gehen.

Doch schon 2004 wechselte er ins Europäische Parlament, wo er seit vier Jahren die EVP-Fraktion leitet. Sein konziliantes Auftreten, die Vermeidung scharfer Töne haben ihm länderübergreifend Sympathien eingebracht. Gleichzeitig gibt sich der in Niederhatzkofen geborene Bayer gern bodenständig und den - christlichen - Traditionen verbunden.

Das könnte sich auch im Wahlkampf niederschlagen. Bei allem Werben für das europäische Einigungsprojekt, wird Weber wohl auf Werte pochen. Darunter werden nicht zuletzt Rechtsstaatlichkeit und andere Grundrechte einer Demokratie verstanden. Dabei wird der EU-Mandatar Bruchlinien in der eigenen Parteienfamilie kitten müssen. Schon lange schwelt nämlich in der EVP ein Zwist über den Umgang mit der nationalkonservativen Gruppierung Fidesz von Orban, der das Konzept einer "illiberalen Demokratie" lanciert. In Helsinki forderte Ungarns Premier erneut eine Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln Europas und eine Abschottung der EU vor Migranten. Dass EVP-Fraktionsvorsitzender Weber lange keine mahnenden Worte für Orbans Verständnis von Rechtsstaat gefunden hat, hat ihm auch Kritik eingebracht.

Ungewisse Mehrheiten

Vielmehr könnte dem Deutschen nach der EU-Wahl und vor der Kür des neuen Kommissionspräsidenten aber etwas anderes zum Nachteil werden. Der Politiker hat nie einer Regierung angehört. Im vergangenen Vierteljahrhundert ist aber an der Spitze der Brüsseler Behörde immer ein ehemaliges Mitglied aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs gestanden. Etliche von diesen würden sowieso am liebsten wieder zu dem Zustand von vor der Wahl 2014 zurückkehren, als sich die Regierungen untereinander ausgemacht haben, wer Kommissionspräsident wird.

Im EU-Parlament wiederum könnten sich die EVP und die Sozialdemokraten, die zusammen das Spitzenkandidaten-Prinzip durchgesetzt hatten, nach dem Votum 2019 in einer geschwächten Position wiederfinden. Denn den Sozialdemokraten werden deutliche Stimmenverluste vorhergesagt. Damit könnte auch die Blockademehrheit der zwei größten Fraktionen verloren gehen.