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Rechtsextreme Proteste: Früchte des Zorns

Von Siobhán Geets

Politik
Die Atmosphäre vor dem Parlament wird immer angespannter.
© reu

In London attackieren rechte Brexiteers eine pro-europäische Abgeordnete.


London. "Soubry ist ein Nazi!", rufen die Demonstranten vor dem britischen Parlament, während die konservative Abgeordnete Anna Soubry versucht, der BBC ein Interview zu geben. Zuvor hatten ihr eine Handvoll extremistischer EU-Gegner auf dem Weg ins Gebäude aufgelauert. Sie warfen ihr vor, eine Verräterin zu sein, eine Faschistin und Lügnerin. Die Polizei stand teilnahmslos daneben.

Weil die Männer in den gelben Westen aggressiv auftreten und Kontakte zur extremen Rechten haben sollen, wecken die Angriffe auf Soubry schmerzhafte Erinnerungen. Immerhin war es ein rechtsextremer EU-Gegner gewesen, der die Labour-Abgeordnete Jo Cox ermordet hatte - wenige Tage vor dem folgenschweren Brexit-Referendum 2016. Und letztes Jahr gab ein weiterer Rechtsextremer zu, den Mord an einer Sozialdemokratin geplant zu haben.

Nach dem Vorfall vom Montagabend hat Soubry, die sich für ein zweites Referendum einsetzt, Polizeischutz angefordert. Am Dienstag riefen 55 Parlamentarier die Polizei dazu auf, gegen die Demonstranten vor dem Parlament vorzugehen. Die Grünfläche vor dem britischen Parlament dient zwar schon lange als Bühne für Proteste beider Seiten, der EU-Befürworter wie des Brexit-Lagers. Doch in den vergangenen Wochen ist die Atmosphäre zunehmend feindselig geworden. Ein Sprecher von Premierministerin Theresa May verurteilte am Dienstagabend die Drohungen. Soubry ist nicht die Einzige, die von Demonstranten verfolgt und beschimpft wird. Meistens trifft es Frauen - Abgeordnete, Journalistinnen, Aktivistinnen.

Der Brexit spaltet das Land wie kein anderes Thema. Der Riss zieht sich durch Familien, durch Parteien, sogar durch die britische Regierung.

Auch die Abgeordneten des Unterhauses sind gespalten in der Frage, wie der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs aussehen soll. Am Mittwoch beginnt die Debatte über den umstrittenen Brexit-Deal von Theresa May, am kommenden Dienstag sollen die Abgeordneten darüber abstimmen. Scheitert die Premierministerin -und danach sieht es derzeit aus -, dann bleiben nur noch wenige Möglichkeiten. Entweder es gibt doch noch ein zweites Referendum oder Neuwahlen. Oder das Königreich schlittert ungeordnet, also ohne Deal, aus der EU. Letzteres wollen die Wenigsten, der wirtschaftliche Schaden wäre enorm.

Bei Neuwahlen oder einer weiteren Volksbefragung müsste das Austrittsdatum (29. März) wohl verschoben werden. In Brüssel spielt man diese Option schon seit längerem durch. Im Weg stehen würde die EU einer Verlängerung wohl nicht - wenn die Briten danach fragen würden.

Doch das tun sie nicht. Einen Bericht des "Daily Telegraph", wonach London bei der EU vorgefühlt hätte, ob eine Verschiebung des Austritts möglich sei, weist die britische Regierung entschieden zurück. Am 29. März verlasse man die Union, dabei bleibe es.

Brexit vor EU-Wahlen

Auch EU-Vertretern wäre es lieber, wenn es bei März bliebe - vorausgesetzt, das britische Parlament stimmt für das mühsam ausgehandelte Abkommen. Bei einem chaotischen Brexit gäbe es nur Verlierer.

Die EU würde die Brexit-Nachspielzeit aber höchstens auf ein paar Wochen anlegen. Denn bei den Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai sollen die Sitze der britischen Abgeordneten wegfallen. Wäre das Königreich dann noch nicht ausgetreten, müssten die Briten mitstimmen - und die Sitze ihrer Parlamentarier im Nachhinein neu verteilt werden.