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Spaniens Jugend fühlt sich von Politik verlassen

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Spanien hat die zweithöchste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Doch bei den Wahlen spielte das Problem kaum eine Rolle.


Madrid. Wer den spanischen Wahlkampf verfolgte, konnte leicht das Gefühl bekommen, die einzigen Probleme des Landes seien Kataloniens Separatisten und die neuen Rechtspopulisten von Vox. "Und was ist mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit?", ärgert sich Pablo Limarquez. Eigentlich ist der 21-jährige Madrilene mehr verwundert als verärgert über das Desinteresse der Politik. Denn mit 33,7 Prozent hat Spanien nach Griechenland die höchste Jugendarbeitslosenquote in ganz Europa. Vor allem im Süden des Landes wie in Andalusien und der Extremadura sieht die Jobsituation besonders schlimm für Junge bis 25 Jahre aus. In den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla liegt die Arbeitslosenquote bei ihnen sogar bei 66 Prozent - Europarekord! In Österreich sind es nur acht Prozent.

"Das Problem in Spanien ist aber nicht nur, einen Job zu finden, sondern auch was für einen. Mit den üblichen Verträgen kann man zwar überleben, aber nicht richtig leben", erklärt Pablo. Er und seine ältere Schwester wohnen immer noch bei ihrer Mutter im Madrider Arbeiterviertel Carabanchel. "Das wir auf kurze und leider auch mittlere Sicht auch wohl so bleiben", meint Pablo.

In seiner Branche seien für junge Arbeitnehmer Gehälter zwischen 600 und 1000 Euro üblich. "Mietwohnungen kosten in Madrid schon rund Tausend Euro. Immer mehr junge Leute treibt es deshalb in Vorstadt-WGs oder sie bleiben bei den Eltern", sagt er. "Da werden Theater- oder Restaurantbesuche zum Luxus."

Im Sommer beendet Pablo seine Ausbildung zum Tontechniker. Am liebsten würde er in einem Theater oder Konzertsaal anfangen. Doch die Berufsperspektiven sind nicht rosig. "Eine Festanstellung? Ein Wunschtraum! Wer gerade anfängt, erhält höchstens Sechs-Monats-Verträge, die über Jahre ständig erneuert werden", versichert der junge Spanier.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Im Gesundheitsbereich ist die Situation noch schlimmer. "In vielen Hospitälern, vor allem in Privatkliniken, bekommen wir Krankenschwestern teilweise nur Tages- oder Wochen-Verträge von Montag bis Freitag, damit das Krankenhaus nicht das Wochenende bezahlen muss und die entsprechenden Sozialabgaben niedriger sind. Wie will man so eine stabile Zukunft planen oder gar eine Familie", sagt María Planillo.

Mittlerweile arbeitet die 24-jährige Krankenschwester im staatlichen San Carlos Hospital in Madrid, verdient 1500 Euro monatlich und hat zumindest Monatsverträge. "Doch im privaten Sektor, wo die meisten Krankenschwestern ohne Berufserfahrung anfangen, ist die Lage wirklich untragbar. Mit Gehältern von 1000 Euro - Festtage und Wochenendschichten inklusive", sagt María. Die prekären Arbeitsverhältnisse haben Zigtausende Krankenschwestern ins Ausland - vor allem nach England - vertrieben.

Wie Pablo Limarquez fühlt sich auch María von der Politik im Stich gelassen. "In erster Linie profitieren von der Politik im Moment die großen Firmen. Für die Arbeitnehmer wird kaum etwas getan", sagt sie. Spaniens UGT-Gewerkschaftsführer Pepe Álvarez gibt der Krankenschwester Recht: "Die Politik half Unternehmen und Banken mit Steuergeldern und einer Lockerung des Arbeitsmarktes aus der Wirtschaftskrise. Nun, da die Unternehmen wieder Gewinne machen, muss die Politik sie zwingen, diese auch wieder auf die Arbeitnehmer zu übertragen."

Die konservative Vorgängerregierung lockerte die Regeln für Arbeitsverträge, erleichterte Unternehmen die Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern. Tatsächlich halbierte sich die Arbeitslosenquote dadurch seit ihrem Höhepunkt 2013 und liegt "nur noch" bei 14,7 Prozent. "Aber die Unternehmen missbrauchen die Arbeitsmarktreform", sagt der spanische Gewerkschaftsführer.

Die oftmals zeitlich befristeten und schlecht bezahlten Stellen hätten gerade für junge Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren zugenommen, obwohl es den Unternehmen immer besser gehe. Betroffen seien davon vor allem saisonabhängige Branchen mit oft niedrig qualifizierten Tätigkeiten wie etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe. "Hauptsächlich junge Menschen werden immer öfter mit Praktikantenverträgen oder als Scheinselbstständige angestellt. Hier muss die Politik reagieren, einschreiten und regulieren", fordert Spaniens Gewerkschaftsführer.

Akademiker verlassen Spanien

Dass sich Spanien nur so langsam von den Krisenjahren erholt und damit auch die Jugendarbeitslosigkeit nur langsam sinkt, liegt laut dem spanischen Wirtschaftsexperten José Luis Álvarez auch an der schwachen und kaum industrialisierten Wirtschaftsstruktur des Landes sowie am unzureichenden Aus- und Weiterbildungsprogrammen. "Hier ist die Politik gefragt. Seit Jahren sprechen die Parteien etwa über die Einführung eines dualen Ausbildungssystems nach österreichischem Vorbild. Doch geschehen ist bisher nichts", so der Professor von der Navarra-Universität in Pamplona.

So bevorzugen fast 80 Prozent aller 20- bis 24-Jährigen ein Studium. Doch gerade in vielen technischen Berufen scheuen sich Unternehmen, Studenten ohne Berufserfahrung einzustellen. "Die konservativen Parteien sind in Spanien darauf bedacht, die Unternehmen steuerlich zu entlasten und so zu animieren, Jobs zu schaffen. Sozialisten und Linke konzentrieren sich hingegen auf mehr Arbeitnehmerschutz. Wir brauchen hier eine bessere Kombination", sagt Álvarez. Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez will nach seinem Wahlsieg am Sonntag erneut den Mindestlohn anheben, zeitliche Arbeitsverträge reduzieren und für 400 Millionen Euro ein Rückführungsprogramm ins Leben rufen, um junge Akademiker zurück nach Spanien zu holen.

"Ich bezweife, dass das funktioniert. Dafür müssen sich viele Dinge ändern", sagt Daniel Lillo. Der 28-jährige Biochemiker aus Aranjuez würde gerne in die Forschung. "Doch bisher bekommen junge Akademiker, die in der Forschung arbeiten oder einen Doktortitel anstreben nur Jobs, wenn sie gratis arbeiten. Etwaige Stipendien reichen mit 800 Euro nicht einmal fürs Nötigste". So denkt er eher darüber nach, Spanien zu verlassen.