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Im Herzland der PiS

Von Gerhard Lechner aus Jaroslaw

Politik

Der Südosten Polens ist fest in der Hand der nationalkonservativen Regierungspartei. Hier glauben die Menschen an Gott und an den Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski.


Polen ist ein Land der Suppen. Der heißen, wohlschmeckenden, wärmenden Suppen. An diesem kalten Oktobertag weiß man, warum. Die Wolkendecke hängt grau in grau über Jaroslaw, der Wind pfeift durch die Hauptstraße des 40.000-Einwohner-Städtchens unweit von Przemysl nahe der ukrainischen Grenze. Die Menschen eilen in Winterjacken und Winterschuhen über die Flaniermeile, vorbei an den zahlreichen Wahlplakaten für die Parlamentswahl am kommenden Sonntag, auf denen die regionalen Kandidaten für den Sejm, das polnische Parlament, für sich werben. Hauben schützen nur ungenügend gegen die Kraft des Windes und die überraschend schneidende Kälte. Der so oft als golden besungene polnische Herbst zeigt sich von seiner ungemütlichen Seite.

Wie gut, dass es den Barszcz gibt. Marta serviert die berühmte Rote-Rüben-Suppe, die die kalte Jahreszeit in Polen mehr als nur erträglich macht. Die manchmal kindhaft fröhliche 70-Jährige setzt sich an den Tisch. "Früher habe ich mich nicht sonderlich für Politik interessiert", gibt sie zu. Wann sich das geändert hat, kann sie nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich mit Beginn der Pension, als sie endlich mehr Zeit hatte. Die ehemalige Gymnasialprofessorin hat ihr Leben lang hart gearbeitet - in und neben der Schule, als Nachhilfelehrerin, um ihrer Familie und ihren zwei Kindern ein Auskommen zu sichern. Ihr Mann ist vor Jahrzehnten am Weihnachtsabend bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ein Lkw hat ihn erfasst, direkt vor dem geräumigen Haus, in dem seine Frau noch heute wohnt. Das zweistöckige Haus mit schönem Garten wurde von den Großeltern in den 1920er Jahren erbaut, knapp nachdem Polen wiedererstanden war.

"PiS macht eine ehrliche Politik"

Der Unfall hat Marta verändert. Er hat ihr etwas von ihrer früheren Sorglosigkeit, der Sorglosigkeit der Jugend, genommen. Als junges Mädchen ist sie per Autostopp durch Europa gereist, bis ins geliebte Italien - etwas, was ihr heute wohl nicht mehr in den Sinn käme.

Denn die Welt steckt auch voller Gefahren. "Ich traue meiner Intention mehr als meinem Intellekt", sagt Marta. "Ich habe viele Diskussionen im Fernsehen gesehen. Und je mehr ich davon sehe, desto stärker bin ich überzeugt, dass die PiS eine ehrliche Politik macht - dass sie es gut mit Polen meint", meint Marta. Sie vertraut der Politik der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit von Parteichef Jaroslaw Kaczynski. "Für die Politiker der PO, der Bürgerplattform, die lange das Land regiert haben, zählt nur das Geld. Die arbeiten hauptsächlich für ihre eigenen Interessen. Die Kassa muss stimmen. Bei der PiS gibt es doch Leute von ganz anderem Zuschnitt", sagt Marta, die mit ihren 450 Euro, die sie monatlich als Pension erhält, knapp über die Runden kommt. "Etwa Premierminister Mateusz Morawiecki. Der gefällt mir. Er war Direktor einer großen Bank und hat dort sicher mehr verdient als jetzt als Ministerpräsident. Er hat kürzlich eine wunderbare Rede gehalten. Oder Kaczynski, ein echter Staatsmann. Mir ist wichtig, dass Politiker Ideale haben. Dass sie Patrioten sind und einen Glauben haben", sagt die Katholikin.

Die Zeit läuft hier langsamer

Der Glaube, das ist der Leitstern in Martas Leben. Sie betet jeden Tag den Rosenkranz, liest in der Bibel. Über die Fassadenkatholiken, die ihren Glauben nicht leben und sich bloß in der Kirche sehen lassen, ärgert sie sich. Ihre Informationen bezieht sie unter anderem über den TV-Sender Trwam von Pater Tadeusz Rydzyk, dem auch der einflussreiche Sender Radio Maria gehört, und von der klerikal-konservativen Zeitung "Nasz Dziennik". Rydzyks Medienimperium ist eine wichtige Waffe der PiS in ihrem politischen Kampf um Polen. Seit die nunmehrige Regierungspartei 2015 an die Macht zurückgekehrt ist, hat sie im Staatsfunk radikal aufgeräumt. "Jetzt kann ich auch TVP wieder ansehen", ist Marta vom Schwenk des Staatsfunks vom Liberalen ins Patriotisch-Konservative angetan.

Zwischen Regenbogen und Papst Johannes Paul II.: Während in anderen Städten Polens für die Rechte von Schwulen und Lesben demonstriert wird, bestimmt der Katholizismus das Leben in Jaroslaw.
© Lechner

Marta ist mit ihrer Meinung nicht allein in der 40.000-Einwohner-Stadt Jaroslaw. Denn die Woiwodschaft Podkarpacie, das Karpatenvorland, ist PiS-Land. Die Partei fuhr hier bereits bei den letzten Wahlen über 50 Prozent ein - ein weit besseres Ergebnis als die ohnehin beeindruckenden 37,6 Prozent, die die Kaczynski-Partei 2015 polenweit erreichte. Hier, im Südosten und Osten Polens, auf dem Land und in den kleinen Städten, hat die PiS ihre Hochburgen. Hier läuft die Zeit langsamer, gemächlicher als im Westen Polens, wo der lange, auch durch die Finanzkrise 2008/09 nicht gestoppte Aufschwung des Landes sofort ins Auge fällt: Blitzsaubere Reihenhäuser, gepflegte Gehsteige, in der Nähe der großen Städte reiht sich Betrieb an Betrieb. Die glitzernde Welt des neuen Polens mit seinen immer riesigeren Einkaufszentren, die den Triumph der von vielen angestrebten westlichen Lebensart verkörpern - hier ist sie noch nicht angelangt.

Einkaufen im Second-Hand-Shop

Obwohl auch in Jaroslaw kürzlich eine "Galeria", ein Großeinkaufszentrum, aufgemacht hat. Und sich auch sonst einiges tut: Der alte kommunistische Bahnhofsbetonklotz wurde abgerissen, ein moderner Bahnhof errichtet. Seit zwei, drei Jahren verbindet eine von der EU mitfinanzierte Autobahn die Grenzregion mit der Boomstadt Krakau. Statt sich fünf Stunden lang durch bewohntes Gebiet zu quälen, erreicht man die alte Königsstadt heute in knapp über zwei Stunden. Auch der Zug fährt heute viel schneller und ist auch weit bequemer als noch vor einigen Jahren. Es geht voran.

Und dennoch: Jaroslaw ist eine verschlafene Stadt, ist Peripherie, ganz wie zu k.u.k.-Zeiten, als Joseph Roth die nach Galizien versetzten österreichischen Offiziere in seinem Roman "Radetzkymarsch" neunziggrädige Schnäpse kippen ließ. Es ist, wie ein lokaler Dominikanerpater über die Stadt sagt, "das Ende der Welt". Das war nicht immer so: Die beeindruckenden Kirchen, die pittoresken Gassen und der Hauptplatz mit seinen prunkvollen Renaissance- und Barockhäusern lassen erahnen, dass Jaroslaw einmal eine bedeutende Handelsstadt war - damals, zur Glanzzeit der alten polnischen Adelsrepublik.

Davon ist heute freilich nicht mehr allzu viel übrig. Viele Häuser stehen leer, die Menschen ziehen eher weg, als dass sie zuwandern. In der zugeparkten, oft menschenleeren Altstadt gibt es noch immer zahlreiche historische Häuser, die nicht renoviert sind, die Gehsteige müssten erneuert werden. Die übervolle, chaotische Markthalle erinnert ein wenig an ukrainische Märkte, neben Fleisch, Käse, Obst und Gemüse wird eigentlich alles verkauft, auch Socken, Hosen und sogar religiöse Devotionalien. Viele besorgen sich ihre Kleidung in Second-Hand-Shops. So auch Marta: "Was glaubst Du, hat das gekostet?", fragt sie. Und gibt stolz die Antwort: "Einen Zloty" - das wären rund 25 Euro-Cent. Auch ihre Töchter kaufen im "Szmateks" ein, nicht in den Designerläden der großen Städte. In Galizien dreht man den Groschen zweimal um, ehe man ihn ausgibt.

Das muss auch Klaudiusz machen. Der vierfache Familienvater und Bildhauer ist Lehrer an einer Kunstschule und hat mit seiner Frau, die Malerei unterrichtet, einen ambitionierten Kredit für sein Haus im Grünen am Rande von Jaroslaw aufgenommen. "Der Sieg der PiS hat uns gerettet", sagt der tiefgläubige Mittvierziger. Und zwar ganz konkret: Kurz bevor die PiS die letzten Parlamentswahlen gewann, hatten Jola und Klaudiusz das Okay für den Kredit bekommen. Ob sie ihn sich bei ihren vier Kindern auch wirklich leisten konnten, war ihnen aber nicht klar. "Wir haben für den Sieg der PiS gebetet", sagt Klaudiusz an dem schönen Holztisch des geräumigen, geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmers seines 300-Quadratmeter-Hauses, das auch eine kleine Kapelle beherbergt. Nicht nur aus religiösem oder politischem Idealismus, sondern weil die PiS sozialpolitische Wohltaten versprochen hat: Mit dem Programm "500plus" hat die Kaczynski-Partei im Wahlkampf 2015 den polnischen Familien Geldleistungen in der Höhe von 500 Zloty - etwa 115 Euro - für jedes Kind pro Monat in Aussicht gestellt und danach den Plan auch umgesetzt. Es blieb nicht die einzige Zuwendung seitens des Staates. So führte die PiS eine 13. Pensionszahlung ein, und auch im aktuellen Wahlkampf werden Zuckerl verteilt: Die Einkommenssteuer für Menschen unter 26 Jahren wurde abgeschafft, künftig sollen die Pensionisten jedes Jahr einen Bonus erhalten. Und auch der Mindestlohn soll angehoben werden.

Zwischen Regenbogen und Papst Johannes Paul II.: Während in anderen Städten Polens für die Rechte von Schwulen und Lesben demonstriert wird, bestimmt der Katholizismus das Leben in Jaroslaw.
© Lechner

"Auch Jesus war ein Patriot"

Die forcierte Sozialpolitik in einem Land, das nach der Wende lange als wirtschaftsliberales Vorzeigeland gegolten hat, ist populär: Die PiS liegt in den Umfragen zur Parlamentswahl mit über 45 Prozent klar voran. Unumstritten ist allerdings auch der sozialpolitische Kaczynski-Kurs nicht: Viele hart arbeitende Polen in den boomenden Städten argwöhnen, dass man jetzt Leute fürs Nichtstun bezahle. Und die warnenden Stimmen, ob Polen sich die Geldtransfers, die Milliarden Zloty jährlich verschlingen, langfristig leisten kann, werden lauter. Bei einer auftauchenden Konjunkturschwäche könnte Polen das Geld fehlen.

Klaudiusz, der mit seinen vier Kindern von den Neuerungen profitiert, sieht die Sache anders. "Die liberalen Regierungen haben in einem anderen Orbit als die meisten Bürger gelebt. Sie haben die normalen Menschen ignoriert", sagt er. "Nach 1989 haben viele, die vorher Kommunisten waren, von der Wende profitiert. Viele gewöhnliche Menschen aber waren nicht auf den damals harten Wind eingestellt. Es gab sogar eine Art Nostalgie, weil sich der kommunistische Staat um die Menschen immerhin gekümmert hat und der neue nicht. Den liberalen Politikern ging’s nur um ihr Image im Westen", sagt der immer freundliche Mann, der laut eigenen Angaben vor lauter Arbeit oft nur drei, vier Stunden schläft.

Für die PiS findet Klaudiusz wärmere Worte. An dem offensiv zur Schau gestellten Patriotismus, den die Kaczynski-Leute vertreten und der von vielen als bedrohlicher Nationalismus wahrgenommen wird, findet er nichts Anstößiges. "Papst Johannes Paul II. hat immer wieder betont, dass echter Patriotismus bedeutet, sein Land, seine Nation zu lieben, aber auch andere Länder als Brüder und Schwestern anzuerkennen", fügt er hinzu. Auch Christus sei Patriot gewesen und habe über das Schicksal Jerusalems geweint.

Kaczynski als "echter Führer"

Jaroslaw Pagacz sieht die Sache ähnlich. Der Pensionist war lange Zeit Vorsitzender des Stadtrates von Jaroslaw - für die PiS. "Kaczynski ist ein Staatsmann, ein echter Führer des Landes", sagt der Mann, der eine helle Strickjacke trägt. Die Kritik aus der EU, dass der PiS-Chef einen zunehmend autoritären Kurs verfolgt, bringt ihn nicht von seinem positiven Urteil ab. "Natürlich entscheidet Kaczynski innerhalb der PiS. Das mag man autoritär nennen. Es passiert halt, was der Parteivorsitzende will", sagt Pagacz. Oppositionsführer Grzegorz Schetyna, der knapp vor den Wahlen seine Kandidatur zugunsten einer möglicherweise populäreren Frau zurückgezogen hat, sei "ein Mann ohne Charisma. Den kann man nicht ganz ernstnehmen."

Den Kurs der PiS, der in der EU auf so viel Widerstand stößt, findet er richtig, auch was den Akzent auf den polnischen Patriotismus statt der Zugehörigkeit zur EU betrifft. "40 Jahre lang durfte man im kommunistischen Polen historische Wahrheiten, etwa das Massaker von Katyn, nicht aussprechen. Danach wollte man vor allem zum Westen gehören und hat die eigene Nation vergessen. Die PiS setzt heute neue Akzente, positive Akzente", findet Pagacz. So sei hier in Podkarpacie etwa ein Museum für die Polen, die Juden gerettet haben, eröffnet worden. "Wir sind heute offen für andere, das ganz sicher. Wir sind aber auch stolz, Polen zu sein", sagt der ehemalige Stadtrat.

Tiefen Gräben am Familientisch

Doch Polen wäre nicht Polen, wenn es nicht auch in Jaroslaw Andersdenkende gäbe. Etwa Malgorzata, Martas Schwägerin. Die unternehmerisch begabte 63-Jährige hat einen Teil ihres Lebens in New York verbracht, sie ist immer auf eigenen Füßen gestanden. Ihre ebenso energische Tochter besitzt einen großen Agrarbetrieb in der Nähe von Warschau, sie selbst unter anderem eine Sprachschule. Malgorzata ist nach der letzten Mode gekleidet und hat auch sonst wenig von dem Odeur des galizischen Katholizismus an sich. Für gewöhnlich meidet man das Thema Politik am Tisch, wissend um den tiefen Graben, der in Polen auch Familien teilt.

Diesmal ist es anders. "Die PiS versteht die moderne Welt nicht", sagt Malgorzata. So könnten sich durch ihre unprofessionelle Wirtschaftspolitik kleine Betriebe nicht mehr entwickeln. Und überhaupt: "Die PiS regiert nach dem Prinzip Brot und Spiele. Das kann nicht gut gehen", warnt Malgorzata, die glaubt, dass PiS-Chef Kaczynski Polen zurück in eine Welt führen will, die seiner Kindheit im Kommunismus gleicht - nur eben ohne entsprechende Partei. "Aber Kaczynski hat doch Werte: Es geht um Polen, um unser Land. Um Gott", wirft Marta ein. Aus Sicht ihrer Schwägerin geht es den PiS-Politikern aber auch nur ums Geld, wie die jüngsten Skandale gezeigt hätten. "Außerdem stört mich diese Paranoia, diese Intoleranz, die die PiS verkörpert", sagt Malgorzata. "Dieser Hass auf Homosexuelle zum Beispiel. Ich finde, jeder hat das Recht, so zu sein, wie er ist."