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Im Schwarm gegen den Populismus

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Die Protestbewegung "Sardinen" gegen Menschenfeindlichkeit und Hass findet immer mehr Anhänger in Italien.


Die Sardinen spielen in der italienischen Küche eine untergeordnete Rolle. In Venetien gibt es frittierte Sardinen auf Zwiebeln mit Essig und Rosinen, eher gewöhnungsbedürftig. Dafür treten die Sardinen nun einen gesellschaftlichen Siegeszug an. Die Protestbewegung mit diesem Namen, die im Internet entstand und sich nun wie ein großer Schwarm über das ganze Land verbreitet, versteht sich nicht als politischer Akteur. Es geht den Sardinen eher um eine Atmosphäre, die sich in den vergangenen Jahren in Italien herausgebildet hat und der sie sich nun mit Zivilcourage entgegenstellen will: Auf die Straße gehen und eng beieinanderstehen gegen die Menschenfeindlichkeit, gegen Hass, Intoleranz und Rassismus. Wie die Ölsardinen in der Dose. Das ist ihr Programm.

Kommission gegen Hass

Die Protagonisten der Bewegung sind mehrheitlich zwischen 30 und 40 Jahre alt. Es gibt aber auch Anhänger wie die 85-jährige Wanda Pane aus Neapel: Auf Facebook zeigt sie sich in einem selbst gestrickten Sardinenkostüm mit wolligen Schwanzflossen und dem Hashtag "originalneapolitansardina" - und erhielt dafür hunderte Likes.

Anfang der Woche füllten 10.000 protestierende Sardinen den Domplatz von Parma. Zuvor waren es 7000 in Modena gewesen, ebenso viele in Rimini und 12.000 in Bologna. Im Jänner stehen Regionalwahlen in der Emilia-Romagna an. Ex-Innenminister Matteo Salvini ist auf Wahlkampftour, seine rechtspopulistische Lega liegt laut Umfragen landesweit immer noch bei knapp 35 Prozent. Die Lega-Kandidatin hat gute Aussichten darauf, Regionalpräsidentin zu werden - ausgerechnet in der früheren Hochburg der Linken, in der die Partisanen-Tradition und "Resistenza" immer noch eine große Rolle spielen. Das war der Auslöser für die "erste Fisch-Revolution" der Geschichte, wie die Gründer schreiben.

Die Organisatoren haben einen Nerv getroffen. Am Sonntag kommen die Sardinen in Mailand zusammen, für Mitte Dezember haben sie sich in Rom verabredet, danach in Verona. In allen Städten gibt es Menschen, die ein Ventil gesucht haben. Ihr Protest richtet sich gegen eine Entwicklung, in der immer freimütiger gegen Ausländer, Juden, Homosexuelle und Frauen gehetzt wird. Der Missstand ist so offensichtlich, dass im italienischen Senat eine Sonderkommission gebildet wurde, die Phänomene wie "Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Aufstachelung zu Hass und Gewalt" kontrastieren soll. Vor allem in Sozialen Medien kursieren Hassbotschaften, an denen auch die Politik ihren Anteil hat. Der Sprachwissenschafter Federico Faloppa, der für Amnesty International vor der EU-Wahl im Mai einen "Hass-Barometer" erstellte, beobachte bei Politikern "eine Art versteckte Aufgeregtheit, die explizit diskriminierende Kommentare hervorbringt".

Salvini und seine Anti-Immigrations-Kampagnen sind dafür wohl das beste Beispiel. Als der Ex-Innenminister vor zwei Wochen im Wahlkampf in Bologna auftrat, starteten vier junge Bologneser auf Facebook ihre Aktion "6000 Sardinen gegen Salvini". Der Veranstaltungssaal der Lega fasste 5600 Personen. Auf der Piazza Maggiore in Bologna haben 6000 Personen Platz, wenn sie eng zusammen stehen, fanden Santori und seine Freunde heraus. Wie die Ölsardinen.

"Uns gefiel die Idee, dass viele Personen, die sich im Internet und in der Gesellschaft vielleicht einsam fühlen, ganz eng zusammen stehen", sagte Santori. Es sei der Moment gekommen, "die Wucht der populistischen Rhetorik zu verändern".

Parteisymbole sind tabu

Der Flashmob wurde ein großer Erfolg, doppelt so viele Menschen wie erwartet versammelten sich. Die Teilnehmer brachten selbst gebastelte Ölsardinen aus Papier mit, Menschen in anderen Städten zogen nach. Besonders wichtig ist den Veranstaltern, nicht in politisches Fahrwasser zu geraten: Fahnen, Parteisymbole und Beschimpfungen seien tabu.

Dass Sardinen im Mittelmeer eine eher geringe Lebenserwartung haben, besorgt die Gründer nicht. Sie weisen darauf hin, dass die Kraft einer einzelnen Sardine gleich null sei. Kraft habe dieser Fisch im Schwarm.