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Personalturbulenzen im britischen Kabinett

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Mit Sajid Javid zieht sich Premier Johnsons wichtigster Minister zurück - auch in Belfast und Dublin gab es Grund zur Aufregung.


London. Es hätte eine Regierungsumbildung ohne große Schlagzeilen werden sollen. Aber Sajid Javid sorgte für einen gewaltigen Knall, als ihn No 10 Downing Street stärker unter Kontrolle zu bekommen suchte. Mit dem ebenso unerwarteten wie zornigen Rücktritt des Schatzkanzlers hat Premier Boris Johnson am Donnerstag auf spektakuläre Weise seinen wichtigsten Minister verloren.

Johnson hatte Javid im Rahmen seiner Kabinettsumbildung angeboten, auf dem Posten zu bleiben. Als der Minister aber erfuhr, dass er sich erst einmal von all seinen Beratern trennen müsse und sich auch sonst direkter Weisung durch die Regierungszentrale zu fügen habe, weigerte er sich schlicht, dieser Forderung nachzukommen. "Kein Schatzkanzler, der auch nur eine Spur Selbstrespekt hat, würde solche Bedingungen akzeptieren", erläuterte ein Vertrauter Javids dessen empörte Reaktion.

Der Rücktritt des Top-Ministers der Regierung, der selbst ein Kandidat für den Parteivorsitz bei den Konservativen im vorigen Sommer war, löste erhebliche Aufregung in London aus. Im Vorfeld der Unterhaus-Wahlen vom Dezember war Javid der einzige Minister gewesen, dem Johnson seinen Posten ausdrücklich garantiert hatte. Eine Haushaltserklärung, die Javid abgeben sollte, war für März schon angesetzt.

Allerdings hatte es zuvor bittere Auseinandersetzungen zwischen Javid und der Regierungszentrale gegeben, als Johnsons Chef-Stratege Dominic Cummings zwei enge Mitarbeiterinnen Javids entlassen hatte, ohne den Schatzkanzler auch nur darüber zu informieren. Eine Beraterin, Sonia Khan, wurde auf Cummings Geheiß hin sogar von einem Polizisten aus No 10 Downing Street hinaus auf die Straße geleitet.

Kommentatoren verwiesen darauf, dass möglicherweise auch Javids Vorbehalte gegenüber der von Johnson proklamierten neuen Spendierfreudigkeit der Regierung zu Spannungen geführt hatten. Allgemein wurde der Eklat um Javids Rücktritt aber so gedeutet, dass Johnson sich totale Kontrolle über die Regierungspolitik zu verschaffen und gegenwärtig alle Befugnisse, bis in kleinste Personalentscheidungen hinein, in seinem Büro in No 10 zu zentralisieren versucht.

Zum Nachfolger Javids ernannte der Premier den Stellvertreter in der Schatzkanzlei, Rishi Sunak, der noch vor kurzem Wohnungsbau-Staatssekretär war. Wie Javid war Sunak vor Beginn seiner politischen Laufbahn als Investment-Banker tätig gewesen. Er hat einen Hedgefond mitbegründet, ist Schwiegersohn eines indischen Milliardärs und leidenschaftlicher Streiter für "den freien Markt".

Nach Widerspruch entlassen

Zum neuen britischen Wirtschaftsminister, der auch die UN-Klimakonferenz im Herbst in Glasgow vorbereiten soll, wurde Entwicklungshilfe-Minister Alok Sharma ernannt. Zum neuen Umweltminister machte Johnson den früheren Ukip-Politiker George Eustice, einen PR-Experten und langjährigen Gegner der EU.

Entlassen wurden die bisherige Wirtschaftsministerin Andrea Leadsom, die unter Theresa May eine wichtige Rolle gespielt hatte, und der Kronanwalt der Regierung, Geoffrey Cox. Beide hatten es gewagt, Johnson im Kabinett gelegentlich zu widersprechen.

Auf ihren bisherigen Posten blieben Innenministerin Priti Patel, Außenminister Dominic Raab und andere Mitglieder des engeren Kreises um Johnson. Michael Gove koordiniert weiter die Arbeit der einzelnen Ressorts und die Brexit-Politik.

Besonderes Aufsehen erregte die Entlassung des Nordirland-Ministers Julian Smith, dem die Sprecher beider Bevölkerungsteile in Nordirland, aber auch die Dubliner Regierung, höchsten Respekt zollten. Smith habe sich mit großem Engagement und echtem Interesse für Nordirland eingesetzt, wurde ihm von allen Seiten bescheinigt. Erst vor wenigen Wochen war es ihm, zusammen mit anderen, gelungen, die drei Jahre lang lahmliegende nordirische Selbstverwaltung in Stormont wieder in Gang zu bringen.