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Ein Ökonom soll die Ukraine aus der Krise führen

Von Gerhard Lechner

Politik

Nach dem Sturz der Kiewer Regierung nach nur sechs Monaten soll nun ein bisher wenig bekannter Aufsteiger die Probleme des Landes lösen.


Kiew. Es ist erst ein halbes Jahr her, als Oleksij Hontscharuk zum Premierminister der Ukraine gewählt wurde. Ein 35-jähriger junger Technokrat, ein Überraschungskandidat aus der Präsidentenpartei "Diener des Volkes", der - ganz wie Präsident Wolodymyr Selenskyj - vor allem mit einem Versprechen angetreten war: Alles anders und vieles besser zu machen als jene Regierungen, die von der alten, oftmals korrupten ukrainischen Polit-Elite gebildet worden waren.

Sechs Monate später ist die Regierung Hontscharuk Geschichte. Der nunmehrige Ex-Premier, der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte der Ukraine, hatte am Mittwoch bereits zum zweiten Mal während seiner Amtszeit seinen Rücktritt eingereicht. Doch während sein Gesuch im Jänner von Selenskyj noch abgelehnt worden war, wurde der Rücktritt dieses Mal angenommen. Zu unpopulär war der junge Premier in seiner kurzen Amtszeit bereits geworden: Laut Umfragen vom Februar vertrauten 64 Prozent der Befragten Hontscharuk nicht. Den weit verbreiteten, aber ziemlich unrealistischen Wunsch nach einer radikalen Senkung der Tarife von kommunalen Dienstleistungen konnte der Premier, der in einem geleakten Gespräch zugegeben hatte, von Wirtschaft nichts zu verstehen, nicht erfüllen. Darüber hinaus sank die Industrieproduktion, was sich auch auf die Wachstumsraten auswirkte.

Arbeit für Achmetow

Vor allem aber drohte die Unzufriedenheit mit der Regierung die für ukrainische Verhältnisse noch immer hohe Popularität des Präsidenten zu gefährden. Daher soll nun ein neuer Mann an der Spitze der Regierung die ukrainische Wirtschaft aus der Krise führen. Der dazu Auserkorene ist, ganz wie einst Hontscharuk, ein Überraschungskandidat: Denis Schmyhal. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger bringt der 44-jährige Aufsteiger Wirtschaftskompetenz mit: Vor seiner Ernennung zum Vizepremier, die erst im Februar erfolgte, hatte der gebürtige Lemberger unter anderem zwei Jahre lang für die führende Energieholding DTEK gearbeitet. Die gehört freilich dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow - das ist jener Oligarch, der bereits den gestürzten Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch unterstützte. Davor war der Geschäftsmann und Manager auch Beamter unter den Präsidenten Wiktor Juschtschenko und Janukowitsch - allerdings auf eher unwichtigen Posten in der Provinz. Schmyhal ist übrigens nicht die einzige Neubesetzung. Das Parlament ernannte zahlreiche neue Minister. So wurde etwa der vorher für EU-Integration zuständige Dmytro Kuleba zum Außenminister gemacht.

Im Februar war bei ukrainischen Beobachtern noch darüber spekuliert worden, ob Selenskyj mit seinem Konzept, auf unerfahrene Leute zu setzen, nicht gescheitert sei und ob er nicht bald auf Profis aus der alten Elite zurückgreifen müsste. Mit Schmyhals Ernennung zeigte der Präsident aber, dass er auf dem Posten des Premiers keinen alten ukrainischen Polit-Hasen haben will, sondern einen (vermeintlich) leicht lenkbaren Technokraten ohne große politische Ambitionen, der über Management- und Organisationserfahrung verfügt. Auf Schmyhal, sagen Beobachter, trifft das alles zu. Scheitert auch der neue Ministerpräsident, wird sich Selenskyj wohl auf die von ihm verspottete alte ukrainische Elite zubewegen müssen.