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Der große Spagat des Olaf Scholz

Von Ronald Schönhuber

Politik

Der deutsche Vizekanzler und Finanzminister soll es als Kanzlerkandidat für die SPD richten. Doch die Unterstützung der Partei dürfte schon bald bröckeln, denn die SPD-Führung steht für einen deutlich linkeren Kurs als Scholz selbst.


Es ist nicht einmal ein Jahr her, da schienen die Ambitionen von Olaf Scholz endgültig begraben worden zu sein. Nach monatelangem Kampf um den Vorsitz und die Richtung der Partei hatten sich die SPD-Mitglieder Ende November mit 53 Prozent hinter das zuvor in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gestellt. Scholz, der erst nach einigem Zögern seinen Hut in den Ring geworfen hatte, blieb nur der zweite Platz und der Trost, dass er seine Ämter als Vizekanzler und Finanzminister behalten konnte.

Doch nun ist Scholz auf einmal zurück - und soll es für die schwer schlingernde Traditionspartei als Kanzlerkandidat bei er Bundestagswahl im Jahr 2021 richten. "Olaf hat den Kanzler-Wumms", schreibt Esken am Montag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, nachdem Präsidium und Vorstand Scholz offenbar einstimmig nominiert haben.

Dass der Vizekanzler auch den Kanzler in Angriff nehmen soll, war schon seit längerer Zeit vermutet worden. So hatte Scholz gemeinsam mit Außenminister Heiko Maas schon zuvor zu den mit Abstand beliebtesten SPD-Politikern in Deutschland gehört, doch mit der Corona-Krise sind die Zustimmungswerte des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters noch einmal nach oben geschossen. Dass Scholz beherzt handelte und rasch milliardenschwere Hilfspakete schnürte, imponierte vielen Deutschen, die unaufgeregte und pragmatische Herangehensweise des 62-jährigen Finanzministers, die früher so häufig als farblos kritisiert wurde, wird nun als Stärke gesehen.

Linkswende unter neuem Duo

Walter-Borjans und Esken bewegen sich dagegen zwar nicht mehr unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle, doch in puncto Beliebtheit rangieren sie weit abgeschlagen hinter Scholz. So liegt Esken, die auch schon einmal mit aktivistischen Botschaften auf ihrem Twitter-Konto in die Schlagzeilen gerät, im Popularitätsranking der Zeitschrift "Focus" auf Platz 19 von 22. Dahinter liegen nur noch Politiker der rechtspopulitischen AfD.

Dass Scholz bei den Wählern viel besser ankommt als Esken und Walter-Borjans nimmt seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten allerdings nicht ihre Brisanz. Denn der Vizekanzler, der sich über zwei Jahrzehnte auf prominenten Positionen zu einem der wichtigsten Weichensteller der SPD emporgearbeitet hat, steht für einen fundamental anderen Kurs als das in November gewählte Führungsduo.

Esken und Walter-Borjans hatten der SPD nach ihrem Sieg eine klare Linkswende verordnet. So sollen nun die kleinen Leute und Umverteilung von oben nach unten wieder ganz oben auf der Agenda der Sozialdemokraten stehen und auch von der von Kanzler Gerhard Schröder konzipierten Hartz-IV-Arbeitsmarktreform will man sich lieber heute als morgen verabschieden. Dazu kommen ein Mindestlohn von 12 Euro und eine Vermögenssteuer.

SPD derzeit nur bei 15 Prozent

Scholz war im Kampf um den Parteivorsitz dagegen mit einem klar an der Mitte orientierten Programm angetreten. Der Finanzminister, der zuvor über weite Strecke die Politik seines konservativen Vorgängers Wolfgang Schäuble fortgeführt hatte, warb für eine schwarze Null und die Fortsetzung der großen Koalition mit der Union aus CDU und CSU. Im Wahlkampf könnte Scholz damit trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der Beteiligten zum pausenlosen Jonglieren gezwungen sein: hier die eigene Realo-Agenda, da die Positionen des linken Flügels, die sich wohl nicht zuletzt durch den Jusos-Vorsitzenden Kevin Kühnert immer wieder lautstark Bahn brechen werden.

Mit der Corona-Krise ist aber zumindest die schwarze Null aus der politischen Debatte verschwunden, denn auch bei der Konservativen ist es unbestritten, dass der Staat nun kräftig investieren muss. Und Scholz gibt sich nicht nur kämpferisch, sondern auch ambitioniert. "Wir trauen uns zu, dass wir mit deutlich über 20 Prozent abschneiden", sagt Scholz bei der Pressekonferenz am Montag. "Ich will gewinnen."

Zulegen muss die SPD aber nicht nur aus ihrem Selbstverständnis als staatstragende Großpartei heraus. Ohne deutlich Steigerung gibt es für die Sozialdemokraten auch kaum realistische machtpolitische Optionen. Denn derzeit liegt die SPD mit 15 Prozent nur auf Platz drei hinter den Grünen und der Union. Eine Mehrheit hätte damit derzeit nur eine erneute CDU/CSU-SPD-Koalition oder ein schwarz-grünes Bündnis. Eine rot-rot-grüne Koalition würde sich dagegen nicht ausgehen.