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Festung Griechenland soll nicht wanken

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Auch nach den fatalen Feuern im Camp Moria hält Griechenland an seiner restriktiven Flüchtlingspolitik fest. Die Flüchtlinge sollen auf Lesbos bleiben. Gleichzeitig wird Hellas vorgeworfen, das Land auch mit illegalen Mitteln abzuschirmen.


Alle Flüchtlinge und Migranten auf Lesbos wollen nur eines: diese unsägliche Insel verlassen. Nachdem das Elendslager in Moria voriger Woche nach mehreren Feuern, offenbar von Bewohnern selbst gelegt, völlig niederbrannte, sind ungefähr 12.000 Menschen obdachlos, darunter 4.000 Kinder. Sie sollen nun in provisorischen Zeltlager untergebracht werden, und das erst wieder auf Lesbos. Diese Menschen wollen aber auf das griechische Festland, vielleicht sogar nach Westeuropa.

Auch das Gros der Einwohner von Lesbos wünscht sich eine derartige Lösung. Geschockt von dem Feuerinferno in der Hölle Moria haben sich unterdessen die Regierungen von zehn EU-Ländern bereit erklärt, zumindest alle 406 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen von Moria aufzunehmen. Sie wurden bereits nach Thessaloniki ausgeflogen. Dort warten sie auf ihre Weiterreise.

Zahl der Neuankömmlinge ist stetig gesunken

Die griechische Regierung unter dem konservativen Premierminister Kyriakos Mitsotakis hält auch nach den fatalen Feuern im Camp Moria unbeirrt an ihrer restriktiven Flüchtlingspolitik fest. Dabei könnte man auf den ersten Blick meinen, die Griechen würden die Gunst der Stunde nutzen, um sich aller oder wenigstens möglichst vieler Flüchtlinge und Migranten zu entledigen. Schließlich hat Athen immer geklagt, das kleine Griechenland sei mit dem aus der Türkei kommenden Flüchtlings- und Migrantenstrom überfordert. Athens auf den ersten Blick paradoxe Haltung in der Flüchtlingspolitik hat aber Gründe.

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So haben die Griechen in der diffizilen Flüchtlingsfrage immer gespurt. Schon die Vorgängerregierung unter dem linken Premierminister Alexis Tsipras duldete Anfang 2016 demonstrativ die Schließung der Balkanroute. Und dies, obgleich seit dem Inkrafttreten des ominösen EU-Türkei-Deals am 18. März 2016 abertausende Flüchtlinge und Migranten in den fünf damals flugs installierten und seither chronisch überfüllten Hotspots auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros strandeten.

An der Schließung der Balkanroute und dem EU-Türkei-Deal will auch die Regierung Mitsotakis nicht rütteln. Dadurch habe sich die Zahl der aus der Türkei in Griechenland ankommenden Flüchtlinge und Migranten drastisch verringert, so ihre Lesart.

Und in der Tat: Registrierte Athen im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlings- und Migrantenkrise in Europa, noch genau 861.630 Neuankömmlinge, waren es 2016 nur noch 177.234. Im vorigen Jahr sank die Zahl auf gut 70.000.

Und weil heuer im Drei-Monats-Zeitraum von Juni bis August nur insgesamt 2.076 Ankünfte in Griechenland registriert wurden und demgegenüber im gleichen Zeitraum 2.735 Flüchtlinge und Migranten entweder in andere EU-Länder umgesiedelt oder in ihre Herkunftsländer rückgeführt wurden, wies Hellas erstmals mehr Weggänge als Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten auf. Die Regierung jubelte.

Wie haben die Griechen das geschafft? An der Festlandgrenze zur Türkei wurden Grenzzäune ausgebaut, die Patrouillen verstärkt und modernste Geräte bei der Suche nach Menschen eingesetzt, die die Grenze illegal überschreiten wollen. Dort ist die Grenze faktisch dicht.

In der Ost-Ägäis ist das ein ungleich schwereres Unterfangen. Hier müssen offenbar andere, rechtswidrige Methoden her, um den Strom an Neuankömmlingen merklich einzudämmen: Push-backs. Das sind illegale Zurückweisungen von Flüchtlingen, denen keine Chance geboten wird, überhaupt einen Asylantrag zu stellen.

Das Zurückdrängen an und über die Grenze verstößt gegen das Völkerrecht und die EU-Grundrechtecharta. Die Menschenrechtsorganisation Mare Liberum hat seit März dieses Jahres mehr als 200 Push-backs in der Ost-Ägäis dokumentiert. Dabei seien mehr als 6.000 Menschen aus griechischen in türkische Gewässer zurückgedrängt worden.

Der "Spiegel" hatte zuletzt nach intensiven Recherchen darüber berichtet, dass im Mai maskierte Männer auf Schiffen unter griechischer Flagge ein Flüchtlingsboot demoliert und die Menschen auf aufblasbare Rettungsinseln gebracht haben. Dann sollen die vermeintlichen Küstenwächter die Rettungsinseln in türkische Gewässer geschleppt und dort zurückgelassen haben. Ohne Trinkwasser und ohne Lebensmittel.

Ferner soll Griechenland sogar Menschen abschieben, die griechische Inseln erreicht haben. Die Behörden sollen sie nach der Ankunft auf dem Land festgenommen, aber erst gar nicht als Neuankömmlinge registriert haben. Ein klarer Verstoß auch gegen den EU-Türkei-Deal.

Die Regierung Mitsotakis streitet jegliche Vorwürfe in Bezug auf Push-backs mit Vehemenz ab, ohne sie aber fundiert zu widerlegen oder wenigstens betreffende Untersuchungen einzuleiten.

Athen will unbedingt, dass Flüchtlinge in Türkei bleiben

Nun fürchtet die Regierung, dass die mutmaßlichen Brandstiftungen in Moria durch die Flüchtlinge und Migranten selbst auch in den übrigen Hotspots auf den Nachbarinseln Schule machen könnten. Nämlich dann, wenn sie dem Druck der Asylbewerber, Inselbewohner und diverser EU-Politiker nachgibt und die Flüchtlinge und Migranten aus Lesbos aufs griechische Festland verlegt oder nach Westeuropa ziehen lässt. Athen will keinen weiteren Kontrollverlust im eigenen Land hinnehmen.

Zumal Mitsotakis auf keinen Fall Flüchtlinge und Migranten, die noch in der Türkei ausharren, dazu ermuntern will, sich auf den Weg nach Griechenland zu machen. Athen fürchtet hier eine Sogwirkung. Auch Push-backs haben eben ihre Grenzen. Quantitativ. Mitsotakis’ Ziel bleibt: Die Festung Griechenland darf keine Löcher bekommen.