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AstraZeneca: Eine Zulassung mit "Ja, aber"

Von Karl Ettinger und Ronald Schönhuber

Politik

Die EU-Kommission hat den Impfstoff von AstraZeneca ohne Altersbeschränkung zugelassen. Die vorausgegangene Debatte über die Wirksamkeit bei über 65-Jährigen wird wohl dennoch ihre Spuren hinterlassen.


Vor dem Jahr 2020 war die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in der breiten Öffentlichkeit wohl maximal einer kleinen Gruppe von Brexit-Afficionados ein Begriff. Denn der unvermeidliche Wegzug der 900 Mitglieder zählenden EU-Behörde aus London und die Suche nach einem neuen Standort in ganz Europa stand gewissermaßen sinnbildlich für das Ausscheiden der Briten aus der Europäischen Union.

Doch mit der Corona-Krise hat sich auch hier der Wind gedreht und die mittlerweile in Amsterdam ansässige EMA steht spätestens seit dem Spätsommer des vergangenen Jahres nicht nur unter medialer Dauerbeobachtung, sondern auch unter erheblichem politischen Druck. So wurde etwa die Zulassung des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer nach der Kritik von mehreren europäischen Regierungschefs am zu geringen Tempo von der EMA schließlich um knapp zwei Wochen auf den 21. Dezember 2020 vorgezogen.

Phase-III-Studie mit Schwächen

Fast noch mehr Gewicht als damals dürfte den EMA-Experten aber nun bei der Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs auf den Schultern gelegen sein. Denn das von der Universität Oxford entwickelte Präparat war vor Bekanntwerden der Lieferschwierigkeiten in vielen EU-Ländern als Rückgrat der Impfkampagne vorgesehen. Das im Vergleich zu den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna deutlich einfacher zu handhabende AstraZeneca-Vakzin sollte vor allem in dezentralen Bereichen eingesetzt werden, wenn die Allerältesten und Hochrisikogruppen bereits geimpft sind - also zunächst einmal bei der Immunisierung der über 65-Jährigen und anderen einem hohen Risiko ausgesetzten Personen wie etwa Lehrern oder Polizisten.

Gerade an einer Zulassung für die Gruppe der über 65-Jährigen waren zuletzt aber vermehrt Zweifel aufgekommen. Denn in der wichtigen Phase-III-Studie, bei der die Wirksamkeit eines Impfstoffs an vielen tausenden Probanden überprüft wird, war diese Alterskohorte mit knapp zehn Prozent nicht nur deutlich unterrepräsentiert. Aus Sicht vieler Experten war die Zahl der Probanden über 65 Jahren auch in absoluter Hinsicht zu klein, um signifikante Aussagen zur Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffes ableiten zu können.

Am Freitag hat die EMA für den Impfstoff des schwedisch-britischen Pharma-Konzerns dennoch eine Zulassung ohne Altersbeschränkung empfohlen, die EU-Kommission erteilte diese wenige Stunden später.

Die geringere Zahl an älteren Studienteilnehmer wurde von der EMA allerdings klar thematisiert. "Derzeit gibt es noch nicht genügend Daten über die Wirksamkeit des AstraZeneca-Präparats bei älteren Menschen, um zu beurteilen, wie effektiv es bei diesen sei", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der EMA. Allerdings sei angesichts der verzeichneten Immunreaktionen bei älteren Probanden und der Erfahrung mit anderen Impfungen zu erwarten, dass auch in dieser Gruppe ein verlässlicher Schutz bestehe.

Alle Unsicherheiten dürften mit dem EMA-Beschluss dennoch nicht ausgeräumt sein. So hatte die Ständige Impfkommission in Deutschland am Donnerstag in einem Diskussionspapier empfohlen, den Impfstoff von AstraZeneca nur für unter 65-Jährige einzusetzen und damit wohl den Startschuss für eine Debatte auch in anderen Ländern gegeben. Denn die deutschen Zweifel dürften nicht zuletzt dazu führen, dass Personen knapp unter oder über 65 Jahren sich eher mit einem der beiden mRNA-Vakzine impfen lassen wollen als mit dem AstraZeneca-Präparat.

Anschober mit drei Varianten

Das österreichische Gesundheitsministerium mit Ressortchef Rudolf Anschober (Grüne) hat jedenfalls schon vor der Entscheidung der EMA aufgrund der Lieferprobleme einen Notfallplan für die Impfstrategie mit drei Varianten ausarbeiten lassen. Die genauen Größenordnungen der drohenden Engpässe waren zunächst auch am Freitag noch ungewiss.

Nach Notfallvariante eins sollte der Impfplan damit im Wesentlichen beibehalten, allerdings auf reduzierte Liefermengen im März nachjustiert werden. Variante zwei stellte auf die Zulassung von AstraZeneca nur für Menschen bis 65 Jahre ab. Variante drei auch darauf und deutlich reduzierte Lieferungen.

Grundsätzlich will man versuchen, noch mehr Impfstoff als Ersatz von BionTech/Pfizer anzuschaffen. Dieser wurde in Österreich seit 27. Dezember bereits für die Impfungen der Heimbewohner verwendet. Außerdem hofft man in der türkis-grünen Bundesregierung auf die baldige Marktzulassung eines weiteren Impfstoffs von Johnson&Johnson aus den USA, der laut am Freitag publik gemachten Studienergebnissen auf eine Wirksamkeit von 66 Prozent kommt.

Anschober wird den überarbeiteten Impfplan am Montag bei dem Krisengipfel der Regierung mit Ländern und Gemeinden vorlegen. Die Bundesländer sind bereits zunehmend nervös geworden, weil sie die Corona-Impfungen organisieren müssen. Der Gesundheitsminister möchte, dass in allen mehr als 2.000 österreichischen Gemeinden Corona-Impfungen möglichst dezentral erfolgen.