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Die EU scheitert bei Rückführungen

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik

Die Prüfer des EU-Rechnungshofs haben die Rückführung irregulärer Migranten unter die Lupe genommen.


Jedes Jahr wird eine halbe Million Nicht-EU-Bürger aufgefordert, das Unionsgebiet zu verlassen - entweder, weil sie illegal eingereist sind, oder, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis haben. In der Praxis funktioniert die Rückführung aber offenbar alles andere als gut. So kehren laut einem am Montag vorgestellten Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes nicht einmal 20 Prozent der Ausreisepflichtigen tatsächlich in ihre Heimatländer außerhalb Europas zurück. Für ihren Bericht hatten die Prüfer in Luxemburg speziell die Jahre 2015 bis 2020 unter die Lupe genommen und sich auf die zehn Länder mit den höchsten absoluten Zahlen nicht zurückgekehrter irregulärer Migranten im Zeitraum 2014 bis 2018 konzentriert.

Mittlerweile hat die EU bereits 18 rechtsverbindliche Rücknahmeabkommen abgeschlossen und mit zumindest sechs weiteren Ländern Gespräche aufgenommen. Zusätzlich gibt es noch sechs weitere Abkommen mit Drittländern über Rückkehr und Rückübernahme, die zwar nicht rechtsverbindlich sind, aber infolge einer dadurch möglichen "Flexibilität" eine bessere Erfolgsquote hatten.

"Das derzeitige EU-Rückkehrsystem ist jedoch in hohem Maße ineffizient und bewirkt daher das Gegenteil dessen, was es eigentlich soll: Statt abzuschrecken, leistet es illegaler Migration Vorschub", sagt Leo Brincat, der im EU-Rechnungshof für den Sonderbericht zuständig ist. So hat die EU zwar formelle Gespräche mit jenen Ländern aufgenommen, aus denen die meisten nicht zurückgekehrten irregulären Migranten stammten. Im Zeitraum von 2015 bis 2020 hat dies nach Ansicht der Prüfer jedoch nur in begrenztem Umfang zu Ergebnissen geführt.

"Mangel an Synergien"

Dabei hatten die Mitgliedsländer seit Jahren immer wieder darauf gedrängt, dass effizientere Lösungen gefunden werden. So heißt es etwa in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Oktober 2018: "Es sollte mehr getan werden, um effektive Rückführungen zu erleichtern. Bestehende Rückübernahmeabkommen sollten besser und gegenüber allen Mitgliedstaaten diskriminierungsfrei umgesetzt werden, und es sollten neue Abkommen und Vereinbarungen geschlossen werden, wobei durch den Einsatz aller einschlägigen Maßnahmen, Instrumente und Möglichkeiten der Union - etwa in den Bereichen Entwicklung, Handel und Visa - die erforderliche Hebelwirkung zu erzeugen und zu nutzen ist." Ähnliche Gipfel-Erklärungen fanden die Autoren des Berichtes in den Jahren 2017, 2016 und 2015, auch die Kommission sprach das Thema in den letzten Jahren häufig an.

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Die Luxemburger Prüfer haben sich auch auf die Suche nach den Ursachen für nicht zufriedenstellende Verträge gemacht und sind beim "Mangel an Synergien" fündig geworden. Im Bericht heißt es dazu, die EU sei gegenüber Drittländern nicht durchgängig geschlossen aufgetreten, und die Europäische Kommission habe wichtige Mitgliedstaaten nicht immer einbezogen, was den Verhandlungsprozess erleichtert hätte. Manche Drittländer hätten daher nicht den zusätzlichen Nutzen eines Rückübernahmeabkommens mit der EU gegenüber bilateraler Zusammenarbeit mit einzelnen Mitgliedstaaten gesehen - insbesondere dann nicht, wenn sie bereits von großzügigen bilateralen Abmachungen mit einigen EU-Mitgliedstaaten profitierten. Immer wenn die Mitgliedstaaten sich jedoch eng abgestimmt hätten, habe dies bei der Auflösung von Verhandlungsblockaden geholfen und zum Abschluss von Rückübernahmevereinbarungen geführt.

Visa als zentraler Hebel

Selbst bei der Schaffung von Anreizen ortet der Rechnungshof Schwachstellen. Im Bericht heißt es, zwar habe die Kommission "die Möglichkeit finanzieller Hilfen für Projekte zur Entwicklungsunterstützung, Reintegration und zum Kapazitätsaufbau wirksam in die Verhandlungen eingebracht, sich jedoch schwer damit getan, andere Einflussmöglichkeiten zu nutzen, selbst dann, wenn mit den betroffenen Drittländern ausgeprägte politische und wirtschaftliche Beziehungen bestanden" hätten. Ein echter Hebel ist demnach nur die Visapolitik, die Prüfer schlagen dementsprechend auch vor, an den entsprechenden Vorschriften weiter zu feilen.

Die Mitgliedsländer werden bei den Rückführungen aus Brüssel unterstützt, etwa durch Netzwerke und Bündelung von Ressourcen. Auch die Grenzschutzagentur Frontex, die derzeit massiv ausgebaut wird, ist verstärkt im Einsatz. Ein Problemfeld stellt allerdings - wie schon in anderen Bereichen kritisiert - die mangelhafte Datenlage dar. Laut dem Bericht sind die Daten häufig unvollständig und auch die Vergleichbarkeit von einem EU-Land zum anderen ist oft nicht gegeben.

Der Rechnungshof sieht seine Kritik aber nicht zuletzt als Anstoß. "Wir gehen davon aus, dass unsere Prüfung in die Debatte über das neue EU-Migrations- und Asylpaket einfließen wird, da eine wirksame Rücknahmepolitik ein Eckpfeiler einer umfassenden Migrationspolitik ist", sagt Brincat. Und wie üblich, endet der Bericht mit Empfehlungen: flexible Lösungen seien zu bevorzugen, die Anreize für Drittstaaten noch zu erhöhen. Vor allem aber müssten "Synergien mit den Mitgliedsstaaten" geschaffen werden - das berühmte einheitliche Vorgehen, das in der EU nur allzu leicht verloren geht.

Österreich kann sich auf 22 bilaterale Rückführungsabkommen berufen

Was Österreich betrifft, hat sich die Außerlandesbringung von illegal im Land aufhältigen Personen im Zeitraum 2015 bis 2017 um mehr als 50 Prozent erhöht. 2019 lag Österreich mit der Teilnahme an 41 Frontex-Charter-Flügen EU-weit an fünfter Stelle, bei den Rückführungsaktionen mittels Linienflügen durch Unterstützung von Frontex mit 802 Flügen sogar an zweiter Stelle nach Belgien.

Im Jahr 2019, im Prüfungszeitraum des Europäischen Rechnungshofes liegend, konnte sich Österreich auf insgesamt 22 bilaterale Rückführungsabkommen berufen - sowie weitere auf EU-Ebene. Lediglich mit zwei der zehn vom Rechnungshof im Fokus der Prüfung stehenden Herkunftsländern (mit der höchsten absoluten Zahl an nicht rückgeführten illegalen Migranten in der EU) - und zwar Nigeria und Tunesien - hat Österreich auch bilaterale Rückführungsabkommen. Die übrigen 20 bilateralen Abkommen bestehen ausschließlich mit EU-Staaten, ausgenommen dem Kosovo und der Schweiz.

Wissen~Die zehn Länder mit den meisten nicht zurückgekehrten irregulären Migranten mit Ausnahme von Syrien waren in der Reihenfolge ihrer Bedeutung: Afghanistan, Marokko, Pakistan, Irak, Algerien, Nigeria, Tunesien, Indien, Bangladesch und Guinea.