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Fallende Sterne bedrohen Italiens Stabilität

Von Julian Mayr

Politik

Die gespaltene Fünf-Sterne-Bewegung bringt die italienische Regierungskoalition unter Führung von Premier Draghi an den Rand des Zusammenbruchs. Das rechte Lager geht am Ende wohl als größter Nutznießer der politischen Krise hervor.


Gletscherstürze in den Dolomiten, extreme Dürren und Wassermangel in der Po-Ebene, letzthin wieder stark ansteigende Corona-Fallzahlen, sowie die omnipräsente Inflation. Obwohl Italien in den vergangenen Wochen ordentlich gebeutelt wurde, kann das frühere Eurozonen-Sorgenkind immerhin auf eineinhalb Jahre gewisser politischer Stabilität und Kontinuität zurückblicken. Mit Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), übernahm im Februar 2021 ein renommierter Mann das Ruder eines brüchigen Schiffes in unruhigen Gewässern - sehr zur Freude der europäischen Nachbarn und internationalen Märkte.

Doch mit der Ruhe, die mit Draghi in Italiens politischen Betrieb eingekehrt ist, könnte es schon bald vorbei sein. Denn die mit dem Rücken zur Wand stehende populistische Fünf-Sterne-Bewegung droht Draghis Koalition, in der bis auf die postfaschistischen Fratelli d’Italia alle maßgeblichen italienischen Parteien vertreten sind, zu sprengen. Das politische Experiment des langjährigen Notenbankers wäre damit weit vor dem regulären Wahltermin im Frühjahr 2023 beendet.

Krise schwelt seit Wochen

Die Krise in der Koalition schwelt bereits seit Wochen. Als Ende Juni beim Nato-Gipfel in Madrid die Staats- und Regierungschefs die Lage in der Ukraine und die Aufnahme von Schweden und Finnland berieten, stand Draghi im Abseits und versuchte per Telefon die innenpolitischen Probleme in Italien auszuräumen. Gerüchten zufolge war es dabei auch um die Ablösung von Parteichef Giuseppe Conte an der Spitze der Fünf-Sterne-Bewegung gegangen.

Nur wenige Tage zuvor war die in den Umfragen auf rund 11 Prozent abgestürzte Bewegung durch den Parteiaustritt von Außenminister Luigi Di Maio schwer erschüttert worden. Dutzende Abgeordnete folgten dem 36-Jährigen, der sich mit Conte über die Waffenlieferung an die Ukraine endgültig zerstritten hatte, damals und schlossen sich seiner neugegründeten Fraktion "Insieme per il futuro" an.

Unmittelbar nach Di Maios Abgang waren innerhalb der Fünf-Sterne-Bewegung Stimmen laut geworden, die Regierungskoalition zu verlassen. Einfangen konnte Draghi die Situation nur, indem er sich bereit erklärte, sich mit den zuvor aufgestellten Forderungen der Bewegung auseinanderzusetzen. Verlangt hatte Conte für den Verbleib in der Regierung unter anderem die Beibehaltung des Grundeinkommens und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Draghis Kabinett hätte zwar auch ohne die ausscherende Fünf-Sterne-Bewegung noch Mehrheiten in beiden Kammern. Der Premier hatte aber immer wieder betont, dass es eine Fortführung der Koalition unter ihm nur mit Beteiligung der Fünf-Sterne-Bewegung gäbe.

Dessen ungeachtet spielte sich am Montag bereits ein erster Paukenschlag ab. Beim Votum zu einem umfangreichen Hilfspaket zur Abmilderung der Wirtschaftskrise in der Abgeordnetenkammer verließen alle Sterne-Parlamentarier bis auf einen den Sitzungssaal am Montecitorio und enthielten sich so ihrer Stimme. Der Unmut in der lagerübergreifenden Koalition war groß. "Der Ministerpräsident darf sich nicht erpressen lassen und Geisel einer Partei sein, die keine mehr ist", tönte etwa Silvio Berlusconi, Parteivorsitzender der rechtskonservativen Forza Italia.

Dabei dürfte die Stimmenthaltung nur ein Vorbote dessen gewesen sein, was am heutigen Donnerstag bei der Abstimmung über das Hilfspaket im Senat zu erwarten ist. So wurde am Mittwochabend gemeinhin damit gerechnet, dass sich die verbliebenen Fünf-Sterne-Senatoren auch dem Senatsvotum und der damit implizit verbundenen Vertrauensfrage entziehen. Damit wäre wohl eine kaskadenartige Implosion der Koalition der nationalen Einheit eingeleitet. So hat Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega, bereits angekündigt, sich bei einer erneuten Enthaltung der Fünf-Sterne-Bewegung für einen vorgezogenen Urnengang starkmachen zu wollen. "Besser Neuwahlen als neun Monate Achterbahnfahrt", sagte Salvini gegenüber der Nachrichtenagentur Ansa.

Postfaschisten im Umfragehoch

Für das rechte Lager dürfte die Situation laut der Tageszeitung "La Repubblica" in jedem Fall profitabel sein. Wird die Koalition ohne Sternebeteiligung fortgeführt, so verschieben sich die Kräfteverhältnisse klar nach rechts, zugunsten Berlusconis Forza Italia und Salvinis Lega. Kommt es hingegen zu einem vorgezogenen Urnengang, spielt das ebenfalls der italienischen Rechten in die Karten. Insbesondere die oppositionelle postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FdI) genießt laut jüngsten Umfragen hohen Zuspruch in der Bevölkerung und könnte vom Regierungsbruch profitieren. Einigen Demoskopen zufolge könnte die FdI sogar als stimmenstärkste Partei aus Neuwahlen hervorgehen.