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9-Euro-Ticket: Anschluss gesucht

Von Alexander Dworzak

Politik

Das deutsche 9-Euro-Ticket für Bahn und Bus wird vorerst nicht fortgesetzt. Bund und Länder streiten, wer den Ausbau bei Infrastruktur, Wagenmaterial und Personal künftig zahlt.


Greifswalds Bürger haben es gut. Sie können auch künftig die öffentlichen Verkehrsmittel um nur 9 Euro pro Monat nutzen - zumindest jene in der 60.000-Einwohner-Stadt. Im äußersten Nordosten Deutschlands wird in verschlankter Weise, nämlich auf lokaler Ebene, das 9-Euro-Ticket fortgesetzt: Wer wollte, konnte im Juni, Juli und August zum Diskontpreis im gesamten Nah- und Regionalverkehr der Bundesrepublik unterwegs sein. Lediglich Verbindungen im Fernverkehr wie die ICE-Hochgeschwindigkeitszüge und Erste-Klasse-Tickets waren von der Regelung ausgenommen. Und es griffen viele zu: 52 Millionen Tickets wurden verkauft. Weitere zehn Millionen Abonnenten von Zeitkarten erhielten die Vergünstigung automatisch.

Gestartet war das 9-Euro-Ticket als eine von vielen Maßnahmen, um die rapide gestiegenen Lebenserhaltungskosten seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine abzumildern. Dafür gab die Ampel-Koalition in Berlin 2,5 Milliarden Euro aus. Lediglich sozialpolitisches Instrument war die Aktion jedoch nie, sie hatte stets einen verkehrs- und einen umweltpolitischen Hintergrund, der in erster Linie die Handschrift des grünen Koalitionspartners trägt: Den Bürgern sollte der Umstieg vom Auto auf Bahn und Bus schmackhaft gemacht werden.

Über "viele Umsteiger" resümiert Oliver Wolff, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen. 17 Prozent der Ticketkäufer seien im August auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen. Jeder zehnte Nutzer der Aktion verzichtete auf mindestens eine seiner täglichen Autofahrten. Diese Ergebnisse resultieren aus Umfragen. Zu anderen Schlüssen kam Christian Böttger, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Anfang August nach der Auswertung von Mobilfunkdaten: "Wir haben ganz wenig Verlagerungswirkung." Kunden, die ohnehin öffentliche Verkehrsmittel nutzten, würden noch mehr damit fahren.

Unzweifelhaft ist der günstige Preis das Haupt-Lockmittel für den Kauf gewesen. Ein reguläres Monatsticket kostet um die 75 Euro. Dazu kam diesen Sommer das einfache Prinzip: ein Tarif für eine Republik. Aktuell bestehen mehr als 60 Verkehrs- und Tarifverbünde sowie eigene Landestarife - ein System, das auf der Karte wie das alte Deutschland kleiner Fürstentümer anmutet. Die Konsequenz im Extremfall: Eine Person, die vom Heimatort in Mecklenburg-Vorpommern zum Job in Hamburg pendelt, nutzt für den 50 Kilometer langen Weg drei Verkehrsverbünde. Für drei Jahreskarten müsste sie insgesamt 3.500 Euro berappen.

Dass diese Zustände nicht mehr haltbar sind, ist auch in der Politik angekommen. Verkehrsminister Volker Wissing sagt, Benutzerfreundlichkeit und Tarifstrukturen im öffentlichen Verkehr müssten verbessert werden. Der FDP-Politiker habe eigenem Bekunden zufolge seinen Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, überzeugt, dass es eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket geben müsse. Verschiedenste Modelle kursieren, in Sachen Tarifverbünde schlägt beispielsweise der Mobilitätsclub VCD vor, das aus 16 Bundesländern bestehende Deutschland in acht Großräume aufzuteilen. Vereinzelt wird gefordert, den Preis von 9 Euro fortzuführen. Das scheint unrealistisch, alleine bei einem Ticket um 69 Euro liegt die Subvention bei zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Knausrige Länder, über Jahre säumiger Bund

Hier liegt der Kern des Problems: Wer zahlt was? Neben dem Bund müssten auch die Bundesländer finanziell zu einem neuen, attraktiven Ticket beitragen, stellt Verkehrsminister Wissing fest. Die Länder fordern, dass der Bund seine Mittel zur Mitfinanzierung des öffentlichen Verkehrs in den Ländern um 1,5 Milliarden Euro jährlich aufstockt, und aufgrund der hohen Energiepreise für heuer und das kommende Jahr jeweils weitere 1,65 Milliarden Euro zuschießt.

Bei der Bereitstellung eigener Mittel zeigen sich aber viele Bundesländer knausrig. Sie sind gemäß dem Grundgesetz für den Nahverkehr zuständig. Doch in zehn der 16 Bundesländer machten die Landesmittel 2017 weniger als ein Viertel aller Ausgaben für den öffentlichen Verkehr aus, berichtete der "Tagesspiegel". Am wenigsten gab Sachsen-Anhalt mit 25 Millionen Euro aus, zugleich erhielt es 368 Millionen Euro an Bundes-Zuschüssen.

Dass es abseits der Städte sowohl bei Bus- als auch Bahnverbindungen krankt, ist aber auch den vergangenen Bundesregierungen anzulasten. Nur rund 50 Euro pro Kopf und Jahr wurden von 2010 bis 2015 in die Schieneninfrastruktur investiert. Seitdem wurde deutlich mehr ausgegeben, der größte Sprung erfolgte von 2020 auf 2021, von 88 auf 124 Euro. Damit liegt Deutschland in dem von Luxemburg angeführten Europa-Vergleich auf Rang neun; Österreich belegt mit 271 Euro Rang vier.

Noch mehr Geld für Infrastruktur, Wagenmaterial und Personal sind notwendig, damit bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste mit der Bahn unterwegs sind. SPD, Grüne und FDP haben dieses Ziel im Koalitionsvertrag festgelegt. Einfach wird es nicht zu erreichen sein.