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Wählen als ungeliebter Volkssport

Von Martyna Czarnowska

Politik

Zum fünften Mal in zwei Jahren stimmen die Bulgaren über ihr Parlament ab. Kann danach das Politpatt aufgelöst werden?


Nein, eine reale Bedrohung habe es nicht gegeben. Als vor wenigen Tagen Dutzende Schulen in Bulgarien wegen Bombendrohungen geräumt und geschlossen wurden, war Innenminister Iwan Demerdschiew um Beruhigung bemüht - auch mit Blick auf die nahende Parlamentswahl. Immerhin wird eine Vielzahl von Urnen in Schulen aufgestellt. Doch der Wahlvorgang würde nur unterbrochen werden, wenn eine reale Gefahr drohen würde - und die hätte es eben nicht gegeben, versicherte Demerdschiew.

Es ist das fünfte Mal binnen zwei Jahren, dass die Bulgarinnen und Bulgaren am Sonntag zu den Urnen gerufen werden. Sie sind dessen bereits müde - darauf deutet die Wahlbeteiligung beim letzten Votum hin. Im Oktober hatten gerade einmal ein gutes Drittel der mehr als 6,6 Millionen Berechtigten ihre Stimme abgegeben. Damals gewann die konservative Gerb, die unter Führung von Ex-Premier Bojko Borissow gut eine Dekade lang die bulgarische Politik bestimmt hat. Sie fand aber nicht mehr ausreichend Verbündete für eine Kabinettsbildung.

Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet

Zuvor war die Regierung von Kiril Petkow gescheitert, eine unter Mühen zusammengestellte und dementsprechend zerbrechliche Vierer-Koalition. Mit ihrer erst vor gut eineinhalb Jahren gegründeten Reformpartei PP (Wir setzen den Wandel fort) traten die zwei Harvard-Absolventen Petkow und Assen Wassilew mit dem Anspruch an, die Korruption im ärmsten EU-Land zu bekämpfen. Sie waren denn auch an den Massendemonstrationen vor knapp drei Jahren beteiligt, als die Bulgaren wochenlang auf die Straße gingen, um gegen Bestechlichkeit, Oligarchie und Regierung zu protestieren.

Nun hofft PP auf eine weitere Chance. Die Partei tritt gemeinsam mit mehreren weiteren Gruppierungen zur Wahl an, unter anderem mit dem bürgerlichen Bündnis Demokratisches Bulgarien. Laut aktuellen Prognosen werden sie sich wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Gerb liefern: Jeweils ein Viertel der Befragten wollen für einen der beiden Blöcke stimmen. Auf Mandate in der 240-köpfigen Nationalversammlung können außerdem die Partei der türkischen Minderheit (DPS) sowie die rechtspopulistische prorussische Gruppierung Wazraschdane (Wiedergeburt) zählen.

Droht dem südosteuropäischen Land danach wieder ein Politpatt? Norbert Beckmann-Dierkes von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zeigt sich "vorsichtig zuversichtlich", dass nach dem 2. April eine Regierungsbildung möglich sein wird. Denn der Druck dazu steige von innen wie von außen. "Die Parteien haben verstanden, dass es bei den Bulgaren eine große Müdigkeit gibt: Die Menschen finden die sportliche Disziplin ‚Wir wählen jedes halbe Jahr neu‘ nicht überzeugend", meint der Leiter des KAS-Auslandsbüros in Sofia: "Auch international wird erwartet, dass sich in Bulgarien die Verantwortlichen endlich zu einer Regierung zusammenfinden."

Zumal die programmatischen Unterschiede bei etlichen wichtigen Themen nicht allzu groß sind. An der Mitgliedschaft in Nato und EU wird nicht gerüttelt, die Aufnahme in die Schengen- sowie die Eurozone wird angestrebt - auch wenn es angesichts von Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten Befürchtungen in der Bevölkerung gibt, dass die Aufnahme in den gemeinsamen Währungsraum Nachteile bringen könnte.

Der Präsident als starker Mann

Weitgehenden Konsens gibt es ebenso in der Ablehnung des russischen Krieges in der Ukraine. Selbst prorussische Kräfte, die es in Bulgarien traditionell gibt, können Russlands Präsident Wladimir Putin nicht offen verteidigen. Allerdings war Militärhilfe für die Ukraine lange umstritten: Der damalige Premier Petkow und sein Finanzminister Wassilew fanden daher inoffizielle Wege, um Munition und Sprit an das überfallene Land zu liefern. Mittlerweile wurde die militärische Unterstützung im Parlament in Sofia gebilligt.

Staatspräsident Rumen Radew hat diese Entscheidung allerdings immer wieder kritisiert. Der ehemalige Kampfpilot und Generalmajor der Reserve hat in den vergangenen zwei Jahren seine Position gestärkt. Er hat Übergangsregierungen kommen und gehen sehen, ist zu EU-Gipfeln geflogen und hat dort seine Meinungen vertreten. "Er wird als eine der starken politischen Figuren in Bulgarien wahrgenommen, auch in der Bevölkerung", sagt Beckmann-Dierkes. "Das geht über seine eigentliche präsidiale Funktion hinaus, weil Radew eben die Regierungen einsetzt und sich immer wieder politisch äußert."

Dass dies im Widerspruch zur Regierungslinie stehen kann, scheint ihn nicht zu stören. Das wurde etwa im Ringen um militärische Unterstützung für die Ukraine sichtbar. Auch diese politischen Dissonanzen erhöhen laut dem Experten den Druck auf die wahlkämpfenden Politiker, nach dem Votum eine Regierung zu bilden, "wenn das Land nicht in ein präsidiales System abgleiten möchte".

Ausbau der Atomkraft

Wer auch immer das nächste Kabinett bildet, wird unter anderem vor der Aufgabe stehen, die Wirtschaft anzukurbeln. Auch wenn sich diese nicht so schlecht entwickelt: Im Vorjahr wuchs sie um gut drei Prozent, das Budgetdefizit bewegte sich ebenfalls bei drei Prozent. Ex-Premier Petkow verweist darauf, dass unter seiner Regierung Sozialleistungen und Mindestgehälter erhöht wurden.

Allerdings ist die Inflation hoch; sie lag bei rund 14 Prozent. Außerdem ist Energiesicherheit ein Thema. Bulgarien hat es geschafft, die große Abhängigkeit von russischem Gas abzuschütteln. Nun soll die Nuklearenergie ausgebaut werden, die Verträge für neue AKW-Reaktoren sind unterschriftsreif. Schon jetzt produziert das an der Donau gelegene Atomkraftwerk Kozloduj gut ein Drittel des im Land verbrauchten Stroms.

Manchen Gruppen machen andere Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu schaffen. In den vergangenen Tagen protestierten bulgarische Getreideproduzenten gegen die zollfreien ukrainischen Exporte, die von der EU gefördert werden. Mit Traktoren blockierten die Landwirte Grenzübergänge zum mit der Ukraine benachbarten Rumänien.