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Hinweise auf Offensivoperationen mehren sich

Politik

Ukrainische Truppen versuchen offenbar, die Kampfbereitschaft russischer Verteidigungsstellungen auszutesten.


Kiew/Moskau. Wenn in Interviews der Beginn der lang erwarteten ukrainischen Gegenoffensive zum Thema gemacht wird, regagiert man in Kiew derzeit ausweichend. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters erklärte Außenminister Dmytro Kuleba zwar, dass sein Land mittlerweile über genügend Waffen verfüge, beantwortete die Frage nach dem Start aber nicht.

Doch mittlerweile mehren sich die Hinweise, dass die Ukraine zumindest in einigen Frontabschnitte Offensivoperationen durchführt, die entweder dazu dienen dürften, die Kampfbereitschaft russischer Verteidigungsstellungen auszutesten oder Russland zur Verlegung von Truppenteilen zu nötigen. So lobte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache am Montag insbesondere Vorstöße der ukrainischen Truppen in Richtung der Stadt Bachmut, die Russland schon im Mai für erobert erklärt hatte. Die Erfolge dort seien die Nachrichten, auf die die Ukraine gewartet habe, sagte er. "Wir sehen, wie hysterisch Russland jeden unserer Schritte, jede Position, die wir einnehmen, beobachtet."

Meldungen über eine Zunahme der Gefechte kommen aber nicht nur aus Kiew. So will Russland seit Wochenbeginn gleich mehrere groß angelegte Vorstöße der ukrainischen Streitkräfte in der Region Donezk vereitelt. Laut dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu wurden dabei mehr als 3.700 ukrainische Soldaten getötet oder verwundet und dutzende Waffensystem zerstört. So soll die Ukraine 52 Panzer und mehr 200 gepanzerte Fahrzeuge verloren haben, während sich die Verluste auf russischer Seite auf gerade einmal 15 Panzer und 300 verwundete oder getötete Soldaten belaufen sollen.

"Absurde Science-Fiction"

Dass Schoigus Zahlen der Realität entsprechen, wird aber nicht nur im Westen bezweifelt. So hat zuletzt auch Jewgeni Prigoschin, der Chef der russischen Wagner-Söldner, die vermeintlichen Opferzahlen in den Reihen der Ukrainer als Propaganda des russischen Verteidigungsministeriums abgetan. "Dafür sind weitaus mehr Bodengewinne erforderlich. Deshalb glaube ich, dass das einfach wilde und absurde Science-Fiction ist", sagte Prigoschin in einem Statement auf seinem Telegram-Kanal. Zähle man die Zahlen des Ministeriums zusammen, "haben wir den gesamten Planeten bereits fünfmal zerstört".

Russland hat nach dem Verlust der Stadt Cherson im November damit begonnen, in die Tiefe gestaffelte Grabensystem auszuheben, um seine Truppen stärker zu verschanzen. Die sich über hunderte Kilometer erstreckenden Verteidigungsanlagen markieren laut Militärexperten Gebiete, in denen Russland mit einem Angriff rechnet oder die es als strategisch wichtig erachtet. Satellitenbildern zufolge konzentrieren sich die russischen Stellungen vor allem nahe der Frontlinien in der südöstlichen Region Saporischschja, im Osten und auf dem schmalen Landstreifen, der die Krim mit dem Rest der Ukraine verbindet.

Viele Militärexperten gehen davon aus, der Schwerpunkt der ukrainischen Gegenoffensive im Süden liegen wird. So könnte ein tiefer Vorstoß bis zum Asowschen Meer nicht nur den Landkorridor von Russland zur besetzten Krim unterbrechen, sondern auch die Halbinsel in Reichweite der ukrainischen Raketenartillerie bringen. Sollte es dann gelingen, die bereits einmal angegriffene Kertsch-Brücke zu zerstören, wären auch die russischen Nachschubwege zerstört. (rs)