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Ungarns Obdachlose frieren unter dem Mantel des Vergessens

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Mindestens 2000 Menschen haben in Budapest kein festes Dach über Kopf.


Budapest. Über den tatsächlichen Zustand der ungarischen Staatsfinanzen lässt sich nur spekulieren. Inwieweit die Ungarn von der Wirtschaftsmisere in Mitleidenschaft gezogen sind, lässt sich gleichfalls nur vermuten. Auf Grundlage der Arbeitslosenstatistik scheint die Situation besser als vor einem Jahr. Zuletzt waren 10,7 Prozent aller Erwerbsfähigen ohne Job, im Jänner waren es noch 11,4 Prozent. Der nationalkonservative Fidesz, die Partei von Ministerpräsident Viktor Orban, sieht sich allerdings zunehmend Vorwürfen ausgesetzt, sie verdränge sozial Schwache aus dem öffentlichen Bewusstsein. Das machen die Kritiker vor allem an den "Freiwilligenprogrammen" für Langzeitarbeitslose und dem Umgang mit Obdachlosen fest.

Menschen, die mehr als drei Monate ohne Beschäftigung sind, erhalten nur noch dann staatliche Unterstützung, wenn sie an öffentlichen Beschäftigungsprojekten teilnehmen. Dabei haben sie keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der sich für die untersten Lohngruppen zurzeit auf umgerechnet 252 Euro beläuft. Eine der "Pilotgemeinden", in denen ein solches Programm aufgelegt wurde, war das eine Autostunde nordöstlich von Budapest gelegene Gyöngyöspata, wo überwiegend Roma zur Säuberung einer Anhöhe von Gestrüpp eingesetzt wurden. Das sorgte für erhebliche Irritationen. Denn die Gemeinde war erst im Frühjahr in die Schlagzeilen geraten, weil sich dort Rechtsextreme zu einer "Bürgerwehr" gegen Roma formiert hatten und ein knappes Vierteljahr patrouilliert waren.

Seit September 2010 können Obdachlosen auf öffentlichen Plätzen in ganz Ungarn Platzverweise erteilt werden. Budapest wandte bis Dezember 2011 umgerechnet rund 260.000 Euro dafür auf, Fußgängerunterführungen räumen zu lassen. Seit 1. Dezember werden Obdachlose entweder festgenommen oder mit einer Geldbuße von umgerechnet 161 Euro belegt, insofern sie sich nicht in eine Notunterkunft einweisen lassen. Das gilt nur dann nicht, wenn sie erstmals aktenkundig werden oder es in einer Gemeinde keine Hilfsangebote für Obdachlose gibt.

Jeder werde mit einer beheizten Unterkunft ausgestattet, auch gegen seinen Willen, rechtfertigt der Referent für Obdachlosen im Parlament Mate Kocsis die Neuregelung. In den vergangenen Monaten entstanden in Budapest drei neue Obdachlosenheime, im Gegenzug kündigte die Stadt jedoch die Verträge mit Hilfsorganisationen, die sich bisher der Obdachlosen annahmen. Rund 8000 Menschen sind in Budapest obdachlos, das ist knapp die Hälfte aller Menschen, die in Ungarn auf der Straße leben. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es nur für 5000. Kritiker sprechen deshalb von einer "bloßen Symbolpolitik", mit der das Problem nur an den Stadtrand oder in abbruchreife Gebäude verlagert werde. Dorthin habe sich ein Großteil der Obdachlosen inzwischen zurückgezogen, um wenigstens unbehelligt zu sein, so Miklos Vecsei vom Malteserorden.