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Wer bestehen will, zahlt

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Gesamter Pflichtstoff wird nur in privaten Nachhilfestunden vermittelt.


Bratislava. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im März hat sich die frühere slowakische Ministerpräsidentin Iveta Radicova wieder in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Als Professorin fordert sie lautstark das, was sie als Politikerin aus Gründen der Haushaltsdisziplin immer strikt abgelehnt hat, nämlich "endlich mehr Geld für die geistige Elite des Landes". Eine einzige Schande sei es, wie der Staat mit seinen Leistungsträgern umgehe, befand sie erst vor wenigen Tagen. Damit stärkte sie auch den Lehrern den Rücken, die sich gerade im größten Pädagogenstreik befanden, den die Slowaken je gesehen haben. Zwei Tage fiel der Unterricht an Schulen weitgehend aus. Auch zahlreiche Hochschulangehörige legten die Arbeit nieder.

"Pekuniäres Engagement" der Eltern gefragt

"Seit Jahren wird uns immer nur mehr und mehr Arbeit aufgebürdet, ohne dass wir auch nur einen Cent mehr sehen", klagt die Grundschullehrerin Renata Kovacova. Inzwischen müsse sie etwa "alles dokumentieren, damit es so aussieht, als böten wir unseren Schülern ein höchst aufwendiges Programm". Tatsächlich fehle es aber an allen Ecken und Enden. Die Grundschullehrerin kennt es beispielsweise schon seit Jahren nicht anders, dass jeder ihrer Schützlinge mehrmals im Jahr eine große Packung Toilettenpapier mitbringt, weil ihrer Schule dafür offiziell das Geld fehlt. Toilettenpapier sei längst nicht das Einzige, "wobei pekuniäres Engagement der Eltern gefragt ist", berichtet die Lehrerin weiter. So sei es, nicht zuletzt der schlechten Bezahlung wegen, längst gang und gäbe, sich mit denen, die es sich leisten könnten, "abzusprechen". Konkret bedeute das, während der regulären Unterrichtsstunden nur einen Teil des Pflichtstoffs zu vermitteln. Der Rest werde dann eben gegen Entgelt bei privaten Nachhilfestunden erklärt. Bei Klassenarbeiten werde freilich alles abgefragt. Die Eltern akzeptierten das in der Regel auch stillschweigend, weil Schüler etwa ohne eine bestimmte Zahl von "gut" und "sehr gut" gar nicht erst zu Aufnahmeprüfungen für weiterführende Bildungseinrichtungen eingeladen würden.

Zum Streik hatte die Lehrergewerkschaft OZPSaV aufgerufen. Sie wollte ein Zeichen gegen die schlechte Bezahlung von Lehrern und Wissenschaftern setzen und forderte eine Erhöhung der Löhne um rund zehn Prozent. Das Bruttomonatseinkommen eines Slowaken beläuft sich derzeit auf knapp 800 Euro. Lehrer verdienen auch nach mehr als drei Jahrzehnten im Beruf nicht mehr als 600 Euro, an Hochschulen und Universitäten sieht es nicht viel besser aus.

Sichtbare Erfolge hat die Arbeitsniederlegung nicht gebracht. Anders als die Ärzte, die Ende vergangenen Jahres mit Streiks und Massenkündigungen im Handumdrehen satte Gehaltserhöhungen durchsetzten, haben die Gewerkschafter die Politiker nicht zur zügigen Aufnahme von Verhandlungen motiviert.

"Wir haben ein bisschen Dampf abgelassen, das war ganz gut. Im Endeffekt hört aber sowieso keiner auf uns, das wissen die Kollegen auch, und deshalb wird so schnell keiner wieder aufstehen, seinen Job verlieren will schließlich niemand", beschreibt Kovacova.

Dort wie auch anderswo sind die Arbeitsplätze alles andere als sicher. Wegen stetig sinkender Schülerzahlen droht vor allem Grundschulen, an denen sich für das erste Schuljahr nicht genügend Schüler anmelden, ständig die Schließung. Entlassene Pädagogen sind, weil zumeist betagt, froh, wenn sie überhaupt wieder Arbeit finden. Dafür nehmen sie wegen der üblichen Zurückstufungen deutliche Gehaltseinbußen und damit verbunden auch Pensionsabstriche in Kauf.

Die Einrichtungen befinden sich untereinander in einem harten Konkurrenzkampf. Dass sie deshalb auf den Ausschreibungen, mit denen sie Eltern davon überzeugen wollen, ihr Kind gerade bei ihnen anzumelden, marktschreierisch wahre Lernwunder versprechen, die offenkundig nicht geschehen können, mag Außenstehenden halbwegs amüsant erscheinen. Den Lehrern ist das Lachen längst vergangen.