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Die CDU beschwört ihren Übervater Helmut Kohl

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

Alte Konflikte sind vergessen, heute ist Kohl der Euro- und Einheitskanzler.


Berlin. Die Kanzlerin ist ein bisschen zu spät. Über den Hamburger Gänsemarkt zieht derweil zur Überbrückung Musik, die in jeden Hollywood-Film passen könnte. Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel zeigt der CDU-Werbespot auf der Leinwand: Große Menschen, die Großes geleistet haben - Wirtschaftswunder, Wende, Wege aus der Finanzkrise. Und Merkel tritt an, um weiterhin Großes zu leisten. Das war die Botschaft im vergangenen Bundestagswahlkampf vor drei Jahren.

Bald ist wieder Wahlkampf. Konrad Adenauer und Helmut Kohl werden in der Erzählung der Christemokraten von Tradition, Beständigkeit, Verlässlichkeit und glanzvollen Zeiten nicht fehlen. Und auf Kohl wird man noch lieber verweisen als damals – denn die dunklen Flecken in der Beziehung zu ihm gehören seit dieser Woche endgültig der Vergangenheit an. Die Christdemokraten zelebrieren ihren CDU-Übervater: Am Montag vor 30 Jahren wurde Kohl zum ersten Mal zum Kanzler gewählt. Sechzehn Jahre lang blieb er es, so lang wie sonst niemand in der Bundesrepublik.

Zum Festakt der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in das Deutsche Historische Museum Ende der Woche in Berlin waren alle waren gekommen, 800 Gäste, selbst der Finanzminister, wenn auch mit Verspätung. Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl sprechen wegen der CDU-Spendenaffäre seit Jahren nicht miteinander – die Zeiten enger Vertrautheit sind lang vorüber. Bis heute ist unklar, woher bis zu 2 Mio. DM an Parteispenden stammen, obwohl Kohl laut Gesetz dazu verpflichtet war, die Spender zu nennen. Doch er habe diesen sein "Ehrenwort" gegeben, argumentierte Kohl nach der verlorenen Bundestagswahl 1998. Ein Ermittlungsverfahren der Bonner Staatsanwaltschaft wurde wegen geringer Schuld eingestellt, Kohl hatte 300.000 DM Bußgeld zu zahlen. Die damalige Generalsekretärin Angela Merkel riet am 22. Dezember 1999 via "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ihrer Partei, sich von Kohl zu distanzieren. Dieser legte seinen Ehrenvorsitz zurück. Sie denke nicht darüber nach, ihm diesen wieder anzutragen, sagte Merkel dazu anlässlich Kohls 80. Geburtstags vor zwei Jahren.

"Das ist alles lange, lange her", befand der stellvertretende Unions-Klubchef Michael Fuchs am Dienstagnachmittag, kurz bevor Kohl das erste Mal seit zehn Jahren seinem Parlamentsklub einen Besuch abstattete. Man freue sich sehr auf den Besuch Kohls und hoffe auf Worte zu Europa - "das Thema treibt ihn um". Auch im Historischen Museum hielt Kohl eine kurze Rede: "Wir wollen weitermachen mit der Einigung Europas", sagte er. Kanzlerin Merkel verwies erneut darauf, dass die Europäer "ein gutes Stück ihres Glück" Kohl zu verdanken hätten. Sie, die in der Europa-Politik mitunter als visionslos gilt, versucht an ihren "Ziehvater" anzudocken.

Der heute 82-Jährige ist für viele eine mythische Gestalt: Kohl, der Einheitskanzler. Kohl, der Euro-Kanzler. Kohl, der ewige Kanzler. "Kohl kommt in einer kuriosen Wendung der deutschen Geschichte als Bismarcks gemütlicher Wiedergänger daher, der die Einheit des Landes und die des Kontinents nicht mit "Eisen und Blut" schuf, sondern mit den Mitteln der Moderne: mit Geld, Geduld und guter Laune", schreibt Jakob Augstein, Herausgeber der linken Wochenzeitung "Freitag".

Indes war es Kohl, der einen Gründungsmythos seiner Bundesrepublik nicht zulassen wollte: Monatelange Demonstrationen in der DDR waren dem Tag des Mauerfalls vorangegangen, der 9. November 1989 hätte zum Nationalfeiertag ausgerufen werden können. So wäre das Verdienst der Ostdeutschen hoch gehalten und und möglicherweise verhindert worden, dass sich manch einstige "Ossis" nach wie vor als "Deutsche zweiter Klasse" fühlen. Doch der konservative Kanzler habe mit "revolutionären Elementen ein Problem" gehabt, sagte der Politologe Herfried Münkler, Autor von "Die Deutschen und ihre Mythen", einmal in der "Zeit". Zudem wäre es kein bequemer Tag gewesen, denn der 9. November ist auch der Tag der Ausrufung der Republik 1918, des Hitler-Putsches 1923 in München und der Pogromnacht 1938. Man hätte also über all die vielen Facetten sprechen, Geschichte differenziert sehen müssen.

Die CDU möchte das eine prächtige, strahlende Bild vergangener Jahre hoch halten. Für etliche Deutsche steht Helmut Kohl aber eben auch für eine engstirnige Bundesrepublik, trotz Euro-Einführung provinziell, die es sich schön eingerichtet hat und Neues lieber aggressiv abwehrt.
Angela Merkel hat zurzeit nichts zu befürchten, sie ist im Volk beliebt.
Für die Partei aber könnte es auf Dauer zu wenig sein, auf eine glanzvolle Vergangenheit zu verweisen und irgendwo zwischen dieser und der Gegenwart – Stichwort Betreuungsgeld, das Mütter finanziert, die ihren Nachwuchs nicht im Kindergarten anmelden – festzuhängen.