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Berlin will Brüssels Macht stärken

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Diskussion um mögliche Aufwertung des EU-Währungskommissars.


Brüssel. Mehr Macht für Brüssel? Diese Idee dürfte zumindest in einer Institution auf Wohlgefallen stoßen: in der Europäischen Kommission. Im ständigen Ringen mit den Mitgliedstaaten um Vorschläge und Gesetzesentwürfe werden nämlich etliche Vorhaben der Behörde nur in abgeschwächter Form umgesetzt - wenn sie denn überhaupt Realität werden. Nichtsdestotrotz war die erste Reaktion der Kommission auf die Überlegung, die Rechte des Währungskommissars zu stärken, eine zurückhaltende. Keinen offiziellen Kommentar gab es zunächst aus dem Büro des betroffenen Olli Rehn selbst. Und eine Sprecherin von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso betonte lediglich, dass Rehn jetzt schon eine wichtige Rolle spiele.

Dabei kam der Vorstoß aus einem Land, wo es eine heftige Debatte darüber gibt, an welchem Punkt die nationale Souveränität der europäischen Gesetzgebung Grenzen setzen kann und wo diese Frage auch immer wieder vor dem Verfassungsgericht erörtert wird. Deutschland ist es denn auch, wo die Diskussion um mögliche Änderungen der EU-Verträge bereits im vollen Gange ist. Entfacht hat sie nicht zuletzt Finanzminister Wolfgang Schäuble, der sich öffentlich Gedanken über die Notwendigkeit einer Volksabstimmung über eine mögliche neue Verfassung machte.

Nun hat er ebenfalls andere Ideen für weitreichende Reformen parat, die vor allem den wirtschaftlichen und währungspolitischen Zusammenhalt der Union betreffen. Es sei nämlich der Zeitpunkt für einen großen Schritt in Richtung Fiskalunion gekommen, der über die bisherigen Vorschläge hinausgehe, erklärte Schäuble mitreisenden deutschen Medienvertretern auf dem Rückflug aus der Finanzmetropole Singapur. Geht es nach den Vorstellungen des Finanzministers, sollte daher der EU-Währungskommissar gestärkt werden. Dieser sollte den Haushaltsplan eines Landes zurückweisen dürfen, wenn der Entwurf den Stabilitätsplänen nicht entspricht.

Damit könnte die Kommission größeren Druck beispielsweise auf Staaten ausüben, gegen die ein Verfahren wegen Nicht-Einhaltung der Budgetdefizit-Grenze läuft. Die Entscheidung müsste der Kommissar allein treffen können, ohne sich die Erlaubnis seiner Kollegen in der Behörde holen zu müssen. Dieses Recht hat Olli Rehn bisher nicht, auch wenn er im Vorjahr mit der Ernennung zum Vizepräsidenten der Kommission aufgewertet wurde.

Ringen um Bankenunion

Die Stärkung des Kommissars würde mit einem Verlust an Haushaltssouveränität in den einzelnen Ländern einhergehen. Denn die Änderungswünsche aus Brüssel wären keine Empfehlung mehr, sondern eine Anweisung.

Um jedoch Einwänden zu mangelnder demokratischer Legitimierung auszuweichen, stellt sich Schäuble gleichzeitig eine Aufwertung des EU-Parlaments vor. Die Volksvertretung sollte grundsätzlich früher in alle wichtigen fiskalpolitischen Entscheidungsprozesse eingebunden werden, meint er. Doch müsste sie auch flexibler sein: So könnten "nur die Abgeordneten der Länder über ein Thema abstimmen, die direkt davon betroffen sind". Das würde etwa bedeuten, dass Vorgaben für die Eurozone nur Parlamentarier aus den Mitgliedstaaten der Währungsunion absegnen. Diese Idee stößt allerdings nur auf wenig Sympathie in Ländern, die noch nicht der Eurozone beigetreten sind, aber gerne auf die Prozesse darin Einfluss nehmen würden. Ein Beispiel dafür ist Polen.

Schäubles Pläne würden jedenfalls einige Vertragsänderungen unumgänglich machen. Die wiederum könnte ein sogenannter Konvent vorbereiten, der sich aus Vertretern der Regierungen und anderer EU-Institutionen aber auch von Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Für einen solchen Konvent hat sich Wien bereits ausgesprochen, und geht es nach Berlin, könnte eine Einberufung noch heuer stattfinden.

Der EU-Kommission dürfte das zu schnell sein. Dort wird auf Barrosos Grundsatzüberlegungen verwiesen, der sich zwar offen für eine Debatte um eine neue Verfassung zeigt, den Zeitpunkt dafür aber kaum vor den nächsten EU-Wahlen im Jahr 2014 ansetzt.

Schäuble hingegen sieht den Moment jetzt schon als günstig an. Seinen Aussagen zufolge hat er seine Ideen bereits in der Eurogruppe kundgetan. Und eine Debatte über die weiteren Schritte hin zu einer Banken- sowie Fiskalunion steht sowieso noch diese Woche an, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs einander in Brüssel treffen. Dort präsentiert EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy weitere Vorschläge etwa zur Schaffung eines eigenen Budgets für die Eurozone.

Der Zwist darüber deutet aber darauf hin, dass dieses Vorhaben ebenso schwierig umzusetzen sein wird wie Schäubles Pläne. Denn auch wenn die Mitgliedstaaten immer wieder betonen, dass schnelles Handeln zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion gefragt sei, sind sie von Einigkeit noch entfernt. Einen Eurozonen-Haushalt etwa lehnt Österreich ab, und Deutschland wiederum ist gegen die von Frankreich geforderte Einführung von Euro-Anleihen, weil es mit einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht einverstanden ist. Berlin sieht auch die Zeitvorgaben zur Schaffung einer europäischen Bankenaufsicht als zu ambitioniert an. Nach dem Willen der Kommission - und etlicher anderer Länder - sollte die gemeinsame Kontrolle schon im kommenden Jahr starten.