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Ein Hauch von Weimar

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Doppelmord in Athen als Zeichen politischer Radikalisierung.


Athen. Die kaltblütigen Täter, sie sind zwar noch unbekannt. Doch es besteht kein Zweifel: Es war ein politisch motivierter Doppelmord. Die professionelle "Hinrichtung" von Manolis Kapelonis und Georgios Foudoulis - beide junge Mitglieder der rechtsextremen Goldenen Morgenröte - am 1. November vor einem Parteilokal im Athener Vorort Neo Iraklio deutet auf einen Racheakt für die Ermordung des antifaschistischen HipHop-Sängers Pavlos Fyssas im September hin. Der Täter damals: ein Anhänger der Morgenröte.

Ob Kapelonis, Foudoulis oder Fyssas: Alle Opfer hatten zwar ein mehr oder minder radikales Gedankengut verinnerlicht. Sie waren aber alle weder politische Funktionsträger noch Repräsentanten des griechischen Staates. Nur HipHop-Liebhaber kannten Fyssas. Nur Freunde, Bekannte und Nachbarn die beiden anderen. Dennoch: Haben die Täter das Ziel, Griechenlands staatliche Ordnung zu verändern? Wie fragil ist das politische System? Ist Griechenland, das Epizentrum der Eurokrise, bereits im Würgegriff eines "roten" und "weißen (braunen) Terrors"? Ist Hellas anno 2013 das neue Weimar?

Gegeben ist der Nährboden für Weimarer Verhältnisse jedenfalls: Griechenland steckt im sechsten Jahr der Rezession. Seit dem Krisenausbruch Mitte 2008 büßte das Land aufgrund der rigorosen Sparpolitik ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung ein. So wie in Deutschland unter "Hungerkanzler" Heinrich Brüning ab 1930. Und auch heute gilt: Das Dauersparen ist Gift für die Konjunktur.

Gefährlicher Cocktail

Wie in der Weimarer Republik Millionen Deutsche werden immer mehr Griechen zudem faktisch enteignet. Diesmal geschieht dies nicht durch die Hyperinflation (dies verhindert der Euro), sondern durch die enorm gestiegene Steuer- und Abgabenlast - bei drastisch gesunkenen Einkommen. Das geht so: Wer dem Fiskus oder den gesetzlichen Renten- und Sozialkassen mehr als 5000 Euro schuldet, sieht sich der Zwangsversteigerung seiner Immobilien ausgesetzt - sofort. Und das betrifft keine kleine Minderheit. Im Gegenteil: Derweil stehen knapp drei Millionen Griechen - also knapp jeder Vierte - beim Fiskus in der Kreide, Hunderttausende haben offene Zahlungen an die Renten- und Krankenkassen - Tendenz stark steigend.

Überdies sind mittlerweile 28 Prozent der Griechen ohne Job, unter den jungen Hellenen in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre sogar mehr als 60 Prozent. Vor allem in dieser "Generation K" ("Generation Krise") entsteht wie schon in Weimar ein latentes Krisenbewusstsein, das zu kultureller und politischer Radikalisierung führt.

Feindbild Troika

Anders als zu Weimarer Zeiten richtet sich die Wut der jungen Griechen aber nicht gegen eine "vergreiste Republik, die nicht in der Lage ist, ihren Nachwuchs unterzubringen". Der politische Gegner für die junge Generation ist vor allem die Geldgeber-Troika aus EU, EZB und IWF, die seit Dienstag in Athen erneut das griechische Reform- und Sparprogramm unter die Lupe nimmt. Sie ist es, so sehen es die Hellenen, die dem am Rande der Pleite stehenden Land die rigorosen Sparauflagen aufbürdet. Ganz nach dem Motto: Berlin entscheidet, Athen führt aus.

Tiefe Gräben

Was zu Weimarer Zeiten der Versailler Vertrag mit seinen geforderten Reparationen, Auflagen und Folgewirkungen für die gedemütigten Deutschen war, das sind für die Griechen heute die fortwährenden Kreditabkommen mit der Troika. Entstanden ist ein hochexplosiver Cocktail aus zunehmender Verarmung und psychologischer Belastung, nicht zuletzt das grassierende Gefühl der Fremdbestimmung und Fremdherrschaft, der die Demokratie in Griechenland vor eine Zerreißprobe stellt.

Löste die Abschaffung der Monarchie eine traditionelle Konfliktlinie innerhalb der griechischen Gesellschaft nach 1974 auf, die den rasanten Aufstieg der Pasok-Sozialisten bewirkte, zieht sich seit Anfang 2010 ein neuer Graben durch Gesellschaft und Politik: Der zwischen Befürwortern der Kreditabkommen und Gegnern.

Nach dem jüngsten Ausscheiden der Demokratischen Linken (Dimar) aus der Athener Koalition aus konservativer Nea Dimokratia und Pasok-Sozialisten unter dem Premier Antonis Samaras sind fünf der aktuell sieben Parlamentsparteien erklärte Spargegner. Davon sind bis auf die Kommunisten und die Rechtsextremen alle bekennende EU- und Euro-Befürworter. Auch in den Reihen der Regierung, die nur noch über eine dünne Parlamentsmehrheit verfügt, wächst nach sechs Sparpaketen binnen dreieinhalb Jahren der Widerstand gegen neue Sparrunden.

Durchhalteparolen

Ihren Beteuerungen zum Trotz: Nur die rechtsextreme Goldene Morgenröte ist als republikfeindlich einzustufen. Da passt es ins Bild, dass sich die Rechtsextremen gerne als "einzigen Gegner des Systems" betrachten.

Wie schon Brüning wegen der zurückliegenden Inflationserfahrung in Deutschland die unbeirrte Fortsetzung des Sparkurses als "alternativlos" darstellte (und ihn mit der Brechstange der Notverordnungen durchsetzte), tun dies heute die verbliebenen Kreditabkommen-Befürworter in Griechenland. Zuletzt üben sie sich in Durchhalteparolen - wie schon Brüning kurz vor seiner Entlassung. 1932 warnte der Zentrums-Politiker mit beharrlichem Blick auf das Erreichen einer positiven Handelsbilanz (die erste seit 1914) und das Bestreben Berlins, das Ausland zu überzeugen, dass Deutschland seine Reparationen erlassen werden müssten, in einer dramatischen Reichtagsrede davor, "auf den letzten hundert Metern vor dem Ziel innenpolitisch nicht die Ruhe zu verlieren".

Durchhalteparolen kamen jüngst auch von Griechenlands parteilosem Finanzminister Jannis Stournaras, einem klarem Verfechter des rigorosen Sparkurses, den er ebenfalls vorzugsweise mit Notverordnungen durchsetzt. Man habe den ersten primären Budgetüberschuss seit 2002 erzielt und versuche nun, das Ausland davon zu überzeugen, Griechenland die Staatsschulden zu erlassen. Somit sei das Land "auf den (Berg) Kilimandscharo hochgeklettert" und dürfe "hundert Meter bis zum Gipfel auf keinen Fall abstürzen", warnte er.

Gut möglich, dass die Morgenröte, die sich nach dem Doppelmord an zwei ihrer Mitglieder nun als Opfer geriert, sogar an Sympathien unter frustrierten Griechen gewinnt - auch bei Bürgern, die mit Nazi-Gedankengut nichts am Hut haben. Spontane Massenproteste wie nach dem Mord an den linken Rapper Fyssas blieben aber aus. Einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung haben die Rechtsradikalen also nicht - ebenso wenig wie auch die gewaltbereite Ultralinke.

So bleiben eine Eskalation politischer Gewalt, ein Bürgerkrieg oder gar eine gewaltsame Machtübernahme durch Extremisten im krisengebeutelten Hellas erst einmal Phantasiegebilde. Einig ist sich das Gros der Griechen dennoch: Der brachiale Sparkurs muss ein Ende finden - mit Verbleib in der Eurozone wohlgemerkt.