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"Österreich trägt moralische Verantwortung für Ukraine"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Parlamentarier Saryusz-Wolski will Angebot an Kiew aufrechterhalten.


"Wiener Zeitung": Sind Sie enttäuscht über die Entscheidung der ukrainischen Regierung und das Ergebnis der Parlamentssitzung in Kiew, die keine Lösung im Fall Julia Timoschenko gebracht hat?

Jacek Saryusz-Wolski: Meine Befürchtungen sind leider eingetreten: Es war schon im Vorhinein abzusehen, dass es keine Verständigung geben wird. Präsident Wiktor Janukowitsch hat auch nicht darauf gedrängt. Die Abstimmungen im Parlament waren nur ein Spiel.

Ist damit jegliche Chance verspielt, dass das Handelsabkommen mit der Ukraine kommende Woche in Vilnius unterzeichnet wird?

Janukowitsch und seine Partei haben ihre Entscheidung getroffen. Das Angebot der Union aber liegt auf dem Tisch - und dort wird es auch bleiben. Es ist ein Vorschlag: Die Ukraine kann ihn annehmen oder nicht. Die EU hat alles in ihrer Macht stehende getan, um dem Land die Unterzeichnung zu ermöglichen. Die Bedingungen sind klar, die Vorteile auch. Danach lag es an Janukowitsch. Und wenn er das Abkommen nicht unterschreiben will, dann haben wir keine Chance.

Ist das nicht ein Zeichen für die Hilflosigkeit der EU gegenüber Russland, das seinen Einfluss nicht verlieren möchte?

Wir können die Länder nicht zwingen: Die EU hat keine imperialistischen Gelüste wie Russland. Wir können nur Angebote unterbreiten.

Können die aus wirtschaftlicher Sicht mehr Gewicht haben als die Drohungen und Lockungen aus Moskau?

Der Zugang zu den europäischen Märkten würde weit schneller erfolgen als ohne Handelsabkommen. Die Ukraine würde auch erhebliche finanzielle Unterstützung erfahren: Nach meinen Berechnungen wäre es fast eine Milliarde Euro im Jahr. Ebenso wäre internationale Hilfe für das hoch verschuldete Land möglich. Mit Gaslieferungen könnten wir die Abhängigkeit von Russland senken.

Dennoch scheinen die Argumente der EU in der Ukraine derzeit nicht schlagend zu sein...

Die Welt hört nicht bei der Ukraine auf - und fällt auch nicht mit ihr. Wir werden in Vilnius Abkommen mit Georgien und Moldawien paraphieren, und es ist die Entscheidung der Länder selbst, an wen sie sich annähern. Armenien hat sich schon für eine Zollunion mit Russland entschieden. Und die Ukraine will weiterhin den Spagat zwischen dem Osten und dem Westen, der Europäischen Union schaffen. Aber wenn sie den Vertrag mit der EU jetzt nicht unterschreiben will, dann eben später.

Reden wir hier von Monaten oder Jahren?

Das Angebot der EU bleibt aufrecht. Es anzunehmen, liegt weiterhin in der Verantwortung des ukrainischen Präsidenten - wahrscheinlich des nächsten, nach der Wahl 2015.

Ist das nicht trotzdem ein Rückschlag für die Bemühungen der EU um ihre östliche Partnerschaft?

Die Politik der östlichen Partnerschaft ist deswegen nicht gescheitert. Wir werden weiterhin in der Region arbeiten, an der Stärkung demokratischer Standards und des Rechtsstaates. Und wir können den russischen Einfluss verringern helfen.

Für Polen ist die östliche Partnerschaft ein wichtiges Anliegen, während die Westeuropäer im Vergleich dazu weniger Interesse dafür aufbringen. Woher könnte mehr Unterstützung kommen?

Aus Wien. Es fehlt uns in der Union, in der östlichen Partnerschaft ein aktives Österreich, das sich mit starker Stimme für die Länder engagieren würde. Wie Polen hat es nämlich mit der Ukraine eine gemeinsame Geschichte; die Gegend war Teil des Habsburgerreiches. Österreich hat ebenfalls eine historische Verpflichtung zu erfüllen: Es trägt eine moralische und politische Mitverantwortung für das Land.

Jacek Saryusz-Wolski ist EU-Abgeordneter der polnischen Regierungspartei PO (Bürgerplattform) und Vizevorsitzender der Europäischen Volkspartei. Er ist dort einer der wichtigsten Fürsprecher der östlichen Partnerschaft.