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Tauwetter, kein Neuanfang

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

SPD-Koalitionsbeteiligung soll Stimmung verbessern.


Paris/Berlin. Es ist traditionell die erste Station der Kanzlerin nach ihrer Vereidigung: die Antrittsvisite in Paris beim französischen Präsidenten. Und es ist die erste Rede, die sie nach der Regierungserklärung im Bundestag hält: die von der beispiellosen Wichtigkeit des deutsch-französischen Motors innerhalb der EU. In Begleitung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier traf Angela Merkel gestern Abend im Élysée-Palast François Hollande und den französischen Außenamtschef, Laurent Fabius. Eine neue Etappe für die deutsch-französischen Beziehungen könne nun in Gang gesetzt werden, sagte Merkel, während Hollande von einem "gemeinsamen Horizont, der zu einer gemeinsamen Agenda wird", sprach. Parallel traf der neue Staatsminister für Europa Michael Roth sein französisches Pendant Thierry Repentin.

Der Kalender wollte es so, dass diese symbolischen Treffen unmittelbar vor den heute, Donnerstag, beginnenden EU-Gipfel in Brüssel fielen, bei dem vor allem Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik anstehen, die Lage in der Ukraine und in der Zentralafrikanischen Republik. Diplomaten auf beiden Seiten zeigten sich erleichtert, dass endlich in beiden Ländern frei von Wahlen und den ihnen vorangehenden Kampagnen oder nachfolgenden Koalitionsverhandlungen stabil regiert werde. Nun bleiben der Konservativen Merkel und dem Sozialisten Hollande dreieinhalb Jahre, um gemeinsam die Entwicklung auf europäischer Ebene voranzutreiben - erst 2017 wird auf beiden Seiten des Rheins wieder gewählt.

Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland haben die französischen Sozialisten zuversichtlich gestimmt: Von der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten erhoffen sie sich "soziale" Impulse für Merkels Politik, die vor allem die Parteilinken als zu rigoros und unflexibel kritisieren. Hollande hat erklärt, der Koalitionsvertrag gehe "in die richtige Richtung". Vor allem die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes begrüßte er sowie die Ankündigungen einer "Rente mit 63" und von Investitionen in Milliardenhöhe.

Ein echter Neuanfang für die als kühl geltenden Beziehungen zwischen Präsident und Kanzlerin wird aber nicht erwartet. Während Merkel in Hollandes Umfeld als grundsätzlich sachbezogen und menschlich wenig zugänglich beschrieben wird, vermeidet auch der Sozialist eine persönliche Annäherung, schon aus Rücksicht auf seine Linke.

Langsame Annäherung

Zwischen ihm und Bundespräsident Joachim Gauck schien sich bei dessen Staatsbesuch in Frankreich Anfang September eine ehrliche Herzlichkeit zu entwickeln; wenn die Distanz zu Merkel bestehen bleibt, hat dies auch innenpolitische Gründe. Geschwächt in seinem eigenen Land, kann sich Hollande den Eindruck nicht leisten, von der deutschen Kanzlerin dominiert zu werden. Zudem hatte sie im französischen Wahlkampf ausdrücklich seinen Rivalen Nicolas Sarkozy unterstützt, Hollande versuchte später mit seinen spanischen und italienischen Amtskollegen, eine Front gegen Merkel aufzubauen. Die Wichtigkeit einer deutsch-französischen Einigung für das Vorankommen Europas betonen dennoch beide regelmäßig.

Inzwischen duzen sie sich sogar; darauf haben sie sich am 22. Jänner geeinigt, als sie das 50. Jubiläum des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages ("Élysée-Vertrag") begingen. "Anfangs haben wir falsche Vertraulichkeiten vermieden", erzählte Hollande dem französischen Journalisten Bertrand Gallicher in einem Gespräch. "Bis wir uns einig geworden sind, dass wir uns ausreichend kennen."