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Ein Duell als Experiment

Von Walter Hämmerle

Politik

Mit europaweiten Spitzenkandidaten könnte die EU-Wahl das bloße Denkzettel-Votum hinter sich lassen.


Brüssel."Mister Euro" gegen den "Herrn Präsidenten"; ein Luxemburger gegen einen Deutschen, ein schon ewig Mächtiger gegen einen, der sich durchboxen musste; ein süffisanter Ironiker gegen einen Polemiker aus Leidenschaft. Kurz: Das Duell zwischen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz um Platz eins bei den EU-Wahlen vom 22. bis 25. Mai verspricht Spannung und Unterhaltung.

Dass es dazu kommt, ist so gut wie fix - Schulz steht bereits als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten (S&D) fest, und bei der Europäischen Volkspartei (EVP) haben alle Königsmacher nur auf ein Zeichen Junckers gewartet. Nun hat dieser erklärt bereitzustehen, wenn er denn gefragt werde. Dass er gefragt wird, daran hegen Beobachter keinen Zweifel.

Bei den EU-Wahlen 2009 gewannen die Konservativen deutlich vor den Sozialdemokraten, derzeit weisen Umfragen auf ein knappes Rennen hin; zulegen werden insbesondere rechte und linke EU-Kritiker. Auch diesem Trend soll mit zwei pro-europäischen Kandidaten begegnet werden.

Vor allem aber ist die Nominierung von EU-weiten Spitzenkandidaten ein Experiment: Ein Versuch, den EU-Wahlen, die bisher als Denkzettel-Votum an die Adresse der eigenen Regierung herhalten mussten, ein eigenes politisches Profil zu verpassen. Und indem der Sieger als Kandidat des Parlaments für den Posten des Kommissionschefs designiert wird, wollen die Abgeordneten durch die Hintertür die Rechte der Regierungschefs beschneiden.

Juncker (59) war bis vor wenigen Wochen über 18 Jahre hinweg Premier Luxemburgs, er stand an der Wiege der Gemeinschaftswährung und fungierte als Vorsitzender der Eurogruppe. Als solcher saß Juncker an einer Schlüsselstelle beim Management der Eurokrise. Als er in diesem Zusammenhang einbekannte, mitunter die Unwahrheit gesagt zu haben, um die Finanzmärkte zu beruhigen, geriet er für einmal ins Schussfeld der Kritik.

Schulz (58), auf der anderen Seite, arbeitete sich durch die Ochsentour nach oben: Ausbildung zum Buchhändler, Juso, Gemeinderat und schließlich mit 31 Jahren jüngster Bürgermeister Nordrhein-Westfalens. 1994 zog er erstmals ins EU-Parlament ein, seit 2012 ist er dessen Präsident.

Auf diesem Weg hat Schulz so manche Häutung durchlaufen. Erstmals bekannt wurde er 2003, als er sich mit Silvio Berlusconi ein Wortgefecht lieferte; an dessen Ende erklärte der italienische Premier, Schulz, würde einen perfekten Nazi-Capo in einem KZ abgeben. Und auch bei anderen Gelegenheiten profilierte sich der linke Schulz mit Nadelstichen gegen die - aus seiner Sicht - neoliberale Politik in Europa.

Als Präsident demonstriert Schulz nun sein Talent als Akteur im politischen Basar Europa, eingezwängt zwischen EU-Kommission und Regierungschefs. Es ist ihm gelungen, mitunter allein durch selbstbewusstes Auftreten, sich auf Augenhöhe mit den oft selbstherrlichen Staatenlenkern zu hieven. Mittlerweile sitzt er ganz selbst verständlich am Tisch der Regierungschefs mit dabei.

Auch auf einem anderen, mindestens so wichtigem Gebiet, ist Schulz in eine Rolle geschlüpft, die zuvor Juncker innehatte: als Vermittler im oft schwierigen deutsch-französischen Verhältnis. Die konservativen Parteifreunde Nicolas Sarkozy und Angela Merkel bevorzugten das Vier-Augen-Prinzip und drängten Juncker beim Management der Eurokrise an den Rand. Dieser revanchierte sich mit teils bissiger Kritik, nicht zuletzt an Merkels harten Sparauflagen für die Eurosünder im Süden. Das hielt den Premier des reichsten EU-Landes aber nicht davon ab, mit Beharrlichkeit die Privilegien des Finanzplatzes Luxemburg zu verteidigen. Seit der Wahl François Hollandes ist es mit dem deutsch-französischen Paarlauf vorbei - und der Sozialdemokrat Schulz neuer Mittler zwischen der christdemokratischen Kanzlerin und dem Sozialisten im Élysée-Palast.

Ob das Kalkül hinter der Nominierung Junckers und Schulz’ tatsächlich aufgeht, wird davon abhängen, ob es den beiden gelingt, die EU-Wahl als politische Weichenstellung zu inszenieren und so die polit-mentale Teilung der Union in einen reichen Norden und einen zu alimentierenden Süden aufzuheben, etwas, worauf vor allem die EU-skeptischen Populisten hinarbeiten. Gelingt das, ist eigentlich alles gewonnen.

Wer von beiden dann am Ende der nächste Kommissionschef wird, ist fast Nebensache. Merkel und Hollande können zweifellos mit beiden gut leben. Und das, obwohl sowohl Juncker wie auch Schulz ihrer politischen Dominanz wie auch ihren Vorstellungen von der künftigen Rolle der Staaten den Kampf ansagen werden: Die Logik ihrer Kandidatur gebietet, dass sie für eine fortschreitende Parlamentarisierung der Union kämpfen.