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Italiens Kulturgeschichte soll Bonität bei Ratings erhöhen

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Rom will Ratingagenturen verklagen, weil sie Kultur nicht berücksichtigen.


Rom. Silvio Berlusconi musste als Ministerpräsident zurücktreten. Sein Nachfolger Mario Monti nutzte den Notstand zu einigen tiefgreifenden Reformen. Er kürzte die Staatsausgaben und brachte eine Pensionsreform auf den Weg. Besser hätte es für Italien im Herbst 2011 nicht kommen können, behaupteten einige Beobachter. Jetzt ist aus Rom eine wichtige Stimme zu vernehmen, die die damalige italienische Staats- und Finanzkrise völlig anders bewertet.

Der italienische Rechnungshof behält sich vor, die internationalen Ratingagenturen zu verklagen und die Rekordsumme von 234 Milliarden Euro Schadensersatz zu fordern. Begründung: Die US-Agenturen Standard&Poor’s, Moody’s und Fitch hätten unter anderem deswegen illegal gehandelt, weil sie Italiens reiche Kulturgeschichte bei ihrer Abwertung der Bonität verkannt hätten. "Standard&Poor’s hat in seinem Rating nie Italiens weltweit anerkannte Geschichte, Kunst oder Landschaft berücksichtigt, die die Basis seiner wirtschaftlichen Kraft sind", zitiert die "Financial Times" aus einem Brief des Rechnungshofs an die Agentur.

Können auch 500 Jahre nach ihrem Wirken weltberühmte Künstler wie Michelangelo, Bernini oder Dante Alighieri ein Wörtchen in der gegenwärtigen Finanzpolitik mitreden? Haben Kunstschätze wie das Kolosseum, die sanft geschwungenen toskanischen Hügel oder Kulturgüter wie die neapolitanische Pizza einen Einfluss auf die Bewertung des italienischen Staatshaushalts? Die Frage wirkt auf den ersten Blick kurios und abwegig. Andererseits stellt der kulturelle Reichtum eines Landes zweifellos auch eine seiner größten wirtschaftlichen Ressourcen dar. Man muss etwa nur daran denken, wie viele Menschen jährlich in den europäischen Süden reisen, um trotz aller politischer Kleinkomödien und Melodramen ein bisschen "Dolce Vita" zu erleben.

Gewicht verleiht dem Ansinnen des Rechnungshofes, der in Italien auch judikative Befugnisse und teilweise die Rolle eines Verwaltungsgerichts hat, dass Ratingagenturen schon länger in der Kritik stehen. Immer wieder heißt es, sie übten verfälschenden, teilweise illegalen Einfluss auf die Finanzwelt aus. Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman bezeichnete das Agentur-System einst als "zutiefst korrupt". In Folge der Immobilienkredit-Krise 2007 verklagten die USA die Agentur Standard&Poor’s und forderten fünf Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Agentur habe in betrügerischer Absicht Wertpapiere, die auf faulen Immobilienkrediten basierten, als unbedenklich eingestuft.

In der europäischen Finanzkrise 2011 hatten die Abstufung der Bonität von Ländern wie Italien, Griechenland und Spanien durch die Ratingagenturen schwerwiegende Folgen. Staatsanleihen dieser Länder wurden nach der negativen Beurteilung durch die Agenturen massenweise verkauft. Der Schaden für die Staatsfinanzen der jeweiligen Länder war enorm. Die Schuldenfinanzierung wurde teurer, Italiens Staatshaushalt wurde zusätzlich belastet. Erwartungsgemäß wiesen die Agenturen die Ansprüche aus Italien zurück. Eine eventuelle Klage sei unbegründet und nicht zulässig. Der Rechnungshof, dessen primäre Aufgabe es ist, den italienischen Staatshaushalt zu kontrollieren, könne nur über interne Vorgänge urteilen und nicht über die Bewertung externer Agenturen. Ein Sprecher des Rechnungshofes bestätigte die Ermittlungen. Die Entscheidung über eine Klage sei aber noch nicht gefallen.