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"Die Bürgermeister sind wir"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Wiens Bürgermeister Häupl plädiert für | "soziale Durchmischung statt Ghettos".


Brüssel/Wien. Mit 30 Amtskollegen aus ganz Europa gegen die EU-Kommission: Wiens Bürgermeister Michael Häupl kann sich bei seiner Verteidigung des sozialen Wohnbaus einiger Unterstützung gewiss sein. Doch ist es ein schwieriges Unterfangen, weil die Brüsseler Behörde die Förderung an bestimmte Kriterien für die Wohnungsanwärter knüpft - und das bereits per Gesetz festgelegt hat. Aus diesem wollen die Vertreter der Städte nun einen Satz gestrichen haben: den Verweis auf "benachteiligte Bürger und sozial schwächere Bevölkerungsgruppen".

Diese Einschränkung gehört weg, findet Häupl und bekräftigte diese Forderung anlässlich einer Städtekonferenz in Brüssel. Denn: "Wir wollen eine soziale Durchmischung und keine Ghettos." Eine entsprechende Resolution haben rund 30 Bürgermeister unterschrieben, sie sprechen für Amsterdam, Berlin, Bratislava, Ljubljana, Rom, Paris oder Warschau.

Geförderter Wohnbau müsse für breite Schichten der Bevölkerung weiterhin zugänglich sein, ist in dem Schreiben zu lesen. "Eine Einengung auf ausschließlich einkommensschwache Gruppen wird abgelehnt, da sie zu sozialer Segregation führen würde."

Die Kriterien für die Vergabe - und den Bau - geförderter Wohnungen möchten die Gemeinden selbst fixieren. Der Bürgermeister der westfranzösischen Stadt Nantes, Patrick Rimbert, fasste es so zusammen: "Wir möchten nicht, dass die EU uns vorschreibt, wie wir eine Stadt zu bauen haben - die Bürgermeister sind wir."

Wettbewerb im Visier

Gegen diese Vorwürfe wehrt sich die EU-Kommission. Die Behörde regle keineswegs, wie Städte oder die betroffenen Behörden den sozialen Wohnbau zu organisieren hätten, erklärte ein Sprecher von Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia. An dessen Adresse nämlich richtet sich die Kritik der Gemeinden: Es geht um die Regeln, in welchem Ausmaß ein Staat finanzielle Unterstützung gewähren kann, ohne dass dies den europäischen Wettbewerb verzerrt und damit dem Binnenmarkt schadet. Soziale Dienstleistungen unterliegen dabei bestimmten Vorschriften nicht, doch müssen sich die Beihilfen vor allem an sozial schwächere Gruppen richten. Ansonsten stehe es den Städten frei, den von ihnen gewünschten "sozialen Mix" selbst zu definieren, heißt es aus Almunias Abteilung.

Das betont auch der Kommissar selbst und fügt hinzu, dass sich die Rolle der Behörde darauf beschränke, die Einhaltung der Vorgaben für staatliche Beihilfen zu prüfen. Das bedeute, dass die Unterstützung "nur sozialen und nicht kommerziellen Zwecken" dienen dürfe.

Doch hatte die EU-Gesetzgebung in Frankreich, den Niederlanden und Schweden schon ihre Konsequenzen: Die Wohnbauförderung ist dort zurückgegangen. In den Niederlanden etwa hatten private Bauträger gegen kommunale Fördersysteme Beschwerde eingelegt und wettbewerbsverzerrende Eingriffe in den Markt geortet. Als eine Reaktion darauf wurde die Einkommens-Obergrenze für Anwärter auf eine solche Wohnung gesenkt: von 38.000 auf 33.000 Euro jährlich. Damit verloren gleich an die 650.000 Haushalte den Zugang zum kommunalen Wohnbau.

In Wien, wo die Obergrenze bei rund 42.000 Euro liegt, würde eine vergleichbare Absenkung jedem vierten Menschen den Anspruch auf eine geförderte Wohnung nehmen, schätzt Wohnbau-Stadtrat Michael Ludwig. Derzeit ist dort fast die Hälfte des Bestandes sozialer Wohnbau in unterschiedlichen Organisationsformen: Neben 220.000 Gemeinde- gibt es 200.000 Genossenschafts- oder geförderte Mietwohnungen. Drei Fünftel der Bevölkerung Wiens profitieren davon.

Halbes Gehalt fürs Wohnen

Doch das - auch in Wahlkämpfen immer wieder verwendete - Schlagwort vom "leistbaren Wohnen" wollen die Bürgermeister nicht nur zum Zweck des Erhalts bestehender Fördersysteme verstanden wissen. "Sozialer Wohnbau ist entscheidend für sozialen Zusammenhalt", sagt Häupl.

Und dass sich in Europa in den vergangenen Jahren ökonomische und soziale Klüfte vertieft haben, verdeutlichen etliche Statistiken. Das hat auch Auswirkungen auf die Wohnsituation. So weist die Internationale Mietervereinigung darauf hin, dass bereits 28 Millionen Europäer in ungeeigneten Verhältnissen wohnen. Fast 60 Millionen Menschen müssen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens allein fürs Wohnen ausgeben. Für manche reicht das Geld gar nicht: Beinahe jeder Fünfte kommt mit der Bezahlung seiner Miete oder Kreditrate in Verzug.