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"Ich würde die EU warnen, Erasmus auszusetzen"

Von Alexander U. Mathé

Politik
Luzi Stamm ist seit 2012 Vizepräsident der SVP. Er ist Mitglied der außenpolitischen Kommission des Parlaments.

SVP-Vizepräsident des Schweizer Nationalrats, Luzi Stamm, im Interview.


"Wiener Zeitung":Die Gespräche über "Erasmus+" und "Horizont 2020" liegen bis zur Klärung der Personenfreizügigkeit Kroatiens auf Eis. Können Sie das nachvollziehen?Luzi Stamm: Ich habe dafür wenig Verständnis. Dass die Schweizer Regierung das Verfahren aussetzt, verstehe ich ja noch: Wenn sie den Vertrag auf Kroatien ausgeweitet hätte, hätten wir hundert Tage Zeit gehabt, um 50.000 Unterschriften zu sammeln und dagegen zu opponieren. Auch wenn ich finde, dass unsere Regierung nicht gut agiert, so war das Vorgehen im Fall von Kroatien relativ naheliegend. Aber, dass die EU die Personenfreizügigkeit mit anderen Themen in Verbindung bringt, ist grenzwertig. Man kann zwar so gerade noch argumentieren, dass die Personenfreizügigkeit etwas mit den Studenten zu tun hat. Trotzdem würde ich die EU warnen, das zu machen. Wir geben ja Milliarden für ausländische Studenten in der Schweiz aus. Das ist viel mehr, als die EU für Schweizer Studenten ausgibt. Ich hätte mir gewünscht, dass die EU Erasmus und Forschung einfach laufen lässt.

Eine weitere Drohung, die im Raum steht, ist, dass auch der Dienstleistungsverkehr wegfällt und Schweizer Banken der Zugang zur EU verwehrt wird. Wie stehen Sie zu diesem Punkt?

Das ist ganz eigenartig, zu behaupten, Dienstleistungen stünden in Verbindung zur Einwanderung. Die Schweiz ist ja bei Dienstleistungen für Europa völlig offen, da ist es umgekehrt für Schweizer in der EU schon schwieriger. Der Status quo ist, dass es für Schweizer Banken schwieriger ist, in die EU zu gehen, als umgekehrt. Aber was hat das mit der Zuwanderung zu tun? Das macht nur Sinn, wenn Sie EU-intern denken. Dann haben Sie die vier Grundfreiheiten, das können Sie handhaben, wie Sie wollen. Aber einem außenstehenden Drittland gegenüber können Sie doch die Zuwanderung nicht mit Waren und Dienstleistungen verknüpfen. Wenn Sie ein Taxiunternehmen haben und damit in die Schweiz fahren wollen, dann hat das ja nichts mit Zuwanderung zu tun.

Hat die Schweiz als attraktiver Finanzplatz die Möglichkeit, Druck auf die EU auszuüben?

Wir sollten keinen Druck aufbauen. Wir sind mit acht Millionen Einwohnern ein ganz schwaches Land im Vergleich zum 500-Millionen-Giganten EU. Es gibt ja in der Schweiz auch Stimmen, die sagen, dass die Grenzen für Lastwägen gesperrt werden könnten. Da bin ich als Vizepräsident der SVP dagegen.

Sie haben gesagt, Sie finden die Schweizer Regierung agiert nicht gut. Was macht sie denn ihrer Meinung nach falsch?

Der Bundesrat hat immer die Position eingenommen: Wir gehen in die EU. Die Schweiz hat ja auch ein Beitrittsgesuch gestellt. Die Verträge von 1999 und 2005 wurden mit dem Grundtenor abgeschlossen: Wir wollen in die EU. Da macht es auch Sinn, etwa die Personenfreizügigkeit und Schengen einzuführen. Die unglückliche Rolle des Bundesrats - um es positiv zu formulieren - ist, dass er der EU immer mit dieser Haltung gegenüber aufgetreten ist.

Glauben Sie, das jetzige Vorgehen ist Pragmatismus von Seite der EU oder eine Strafmaßnahme?

Wenn die EU generell sagt, Gespräche werden unterbrochen, bis wir die Personenfreizügigkeit geklärt haben, würde ich das verstehen. Was aber nicht angeht, ist, dass Steuerfragen weiter diskutiert werden, hingegen Erasmus nicht. Das ist doch eigenartig.

Glauben Sie, dass die anderen Verträge (Beseitigung von Handelshemmnissen, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung; Anm.) neu ausgehandelt würden, wenn die Personenfreizügigkeit wegfällt?

Ja. Noch naheliegender wäre aber, sie einfach weiterlaufen zu lassen. Wieso sollte man die denn fallen lassen? Die sind ja nicht zugunsten der Schweiz. Der Landverkehr beispielsweise ist ja völlig zum Vorteil der EU.