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Warschauer Abhöraffäre weitet sich aus

Von Saskia Blatakes

Politik
Radoslaw Sikorski galt bisher als äußerst US-freundlich.
© reu/Kaminski

Polens Außenminister nannte Bündnis mit den USA "wertlos". Das Land steuert auf Neuwahlen zu.


Warschau. Die Abhöraffäre in Polen zieht immer weitere Kreise. In einer zweiten Welle veröffentlichte das Nachrichtenmagazin "Wprost" in der Nacht auf Montag Auszüge aus einem Gespräch zwischen Außenminister Radoslaw Sikorski und dem ehemaligen Finanzminister Jacek Rostowski.

In drastischen Worten relativierte Sikorski darin die enge polnisch-amerikanische Freundschaft: "Du weißt, dass das polnisch-amerikanische Bündnis wertlos ist. Es ist sogar schädlich, da es Polen das falsche Gefühl von Sicherheit gibt", soll er laut dem Magazin gesagt haben. In dem Gespräch, das Anfang des Jahres in einem Nobelrestaurant stattfand, kritisierte er, dass sich Polen allein auf den Partner jenseits des Atlantiks verlasse: "Totaler Bullshit! Wir haben Konflikte mit Deutschland, mit Russland, und sind der Meinung, dass alles super läuft, weil wir den Amerikanern einen geblasen haben. Das ist absolut naiv."

Überraschend sind die Äußerungen auch, weil Sikorski bislang als äußerst USA-freundlich galt. Er lebte mehrere Jahre in Washington, seine Frau ist die US-amerikanische Historikerin und Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum. Hinter der Veröffentlichung vermutet der Außenminister laut dem Sender TVN24 eine "organisierte Verbrecherbande". Er fordert die Bestrafung der Hintermänner.

Eine Staatsaffäre hatte bereits ein Gespräch ausgelöst, das im letzten Juli stattgefunden hatte und letztes Wochenende veröffentlicht wurde. Bei "Wodka, Lachs und Anchovis" sollen sich der polnische Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz und der Präsident der Nationalbank, Marek Belkasich getroffen haben und nicht weniger als den Sturz des damaligen Finanzministers Jacek Rostowski geplant haben. Im Gegenzug dafür hatte der Notenbankchef versprochen, das angeschlagene Budget durch Konjunkturspritzen zu entlasten.

Der Minister wurde im November tatsächlich entlassen. Die Wogen gingen dementsprechend hoch, als die brisanten Gesprächsmitschnitte publik wurden. Am Dienstag versuchte die Staatsanwaltschaft, die Redaktion von "Wprost" zu durchsuchen und belastendes Material zu vernichten. Die Aktion scheiterte am Widerstand der Journalisten.

Neuwahlen nach Lauschangriff?

Die Opposition kritisierte die illegale Beeinflussung und forderte den Rücktritt der Regierung von Donald Tusk. Diesen lehnt der Premier ab, er schließt aber vorgezogene Neuwahlen nicht aus. Der nationalkonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski wollte am Montag mit den übrigen Oppositionsparteien Gespräche über ein Misstrauensvotum gegen Tusk führen. Leszek Miller, Chef der Linkspartei SLD, appellierte an Tusk, selbst die Vertrauensfrage zu stellen.

Der Reigen der verfänglichen Veröffentlichungen scheint aber noch lange nicht vorbei zu sein. Laut "Wprost" gibt es weitere geheime Aufnahmen, unter anderem vom Treffen der Vizepremierministerin Elzbieta Bienkowska mit dem Chef der Zentralen Antikorruptionsbehörde Pawel Wojtunik oder des reichsten Polen Jan Kulczyk mit dem Chef der Obersten Kontrollkammer (NIK) Krzysztof Kwiatkowski.