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Umsonst gewartet auf die Morgendämmerung

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Großbritanniens Premier David Cameron verspricht nach dem Unabhängigkeitsvotum Reformen.


Ausgelassener Jubel herrschte im Lager der Unionisten.
© reu/Martinez

Edinburgh. Aus der "neuen Morgendämmerung", die Alex Salmond seinem Land versprach, ist also nichts geworden. Als der schottische Regierungschef und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) am Freitag um Viertel vor vier in seiner Heimat Aberdeenshire ins wartende Flugzeug kletterte, wollte die finstere Nacht über Schottland kein Ende nehmen.

Böse Zungen spekulierten darüber, wohin Salmond wohl fliegen werde. Schottlands Regierungschef flog natürlich nach Edinburgh. Aber er wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass er die Schlacht verloren hatte und dass Edinburgh nicht Sitz einer souveränen Regierung werden würde.

Als zwei Stunden später die schottische Hauptstadt als eine der letzten Regionen ihr Abstimmungsergebnis beim Unabhängigkeits-Referendum bekanntgab, bestätigte sich nur der Trend der vorigen Ergebnisse. Edinburgh, unter seinen Zinnen, Türmen und feinen Bürger-Burgen, stimmte mit 61 zu 39 Prozent gegen die SNP-Morgendämmerung. Landesweit waren am Ende 55 Prozent gegen Unabhängigkeit und 45 Prozent dafür. Von den städtischen Zentren waren es nur Glasgow und Dundee, in denen die Befürworter eines nationalen Alleingangs auf (knappe) Mehrheiten kamen.

Kurzer "Marsch zur Freiheit"

Am Ende marschierte Schottlands Bürgerschaft geschlossen auf, um ihre Verbindung mit dem Vereinigten Königreich zu wahren. Schottlands Working Class, eher in Unabhängigkeit ihr Heil suchend, war nicht im gleichen Umfang zu mobilisieren - obwohl die Gesamtwahlbeteiligung rekordhoch bei 85 Prozent, lag.

Dabei hatten die Fürsprecher schottischer Unabhängigkeit am Wahltag noch einmal alles darangesetzt, ihre Landsleute an die Urnen zu bringen. Im Edinburgher Stadtteil Craigmillar etwa führte ein Dudelsackspieler alle paar Stunden Gruppen williger "Yes"-Wähler pustend, pfeifend und trötend zum Wahllokal.

"Macht mit bei unserem kurzen Marsch zur Freiheit", verkündete dazu ein Poster im Peffermill-Court-Wohnblock, wo der "Marsch" jeweils begann. Und: "Lasst uns heute alle gute Bravehearts sein!"

Taxifahrer in Dundee transportierten Wähler kostenlos zu den Urnen - solange die Betreffenden für Unabhängigkeit stimmten oder sich wenigstens in Gespräche über ihre Wahlpläne verwickeln ließen. Aus Lautsprechern in Glasgow dröhnte noch einmal freundliche Ermunterung. Bahnpassagiere, die in Edinburgh Waverley eintrafen, berichteten von Zugdurchsagen auf Höhe der englisch-schottischen Grenze, mit denen sie von einem kecken Stewart der East Coast Line zum "heutigen Unabhängigkeitstag" willkommen geheißen wurden: "Unsere Zug-Bar hält köstliche Getränke zum Feiern für Sie bereit."

Verwirrung bei Stimmabgabe

© WZ Online

Zu diesem Zeitpunkt, als die Schotten überall brav in die Wahllokale trotteten, hatte sich dichter Nebel auf Edinburgh gesenkt. Fast war es, als ob der Stadt im Zentrum des Referendums-Trubels und ihren Bewohnern vollends die Orientierung genommen werden sollte. Amüsiert hatte die Betreiberin einer Teestube von einer Besucherin erzählt, die bei ihr einen Tee bestellte, dann sagte, sie nehme vielleicht lieber Kaffee, und sich dann doch noch für Tee entschied.

"Sorry", jammerte die Unschlüssige, "diese Politik hier treibt mich noch völlig zum Wahnsinn." Das traf die Sache ziemlich genau. Später, bei der Stimmenauszählung, sollten Wahlleiter mehrerer Regionen bestätigen, dass viele Stimmzettel ungültig waren, weil Wähler das Ja- und die Nein-Kästchen gleichzeitig angekreuzt hatten.

Dabei hatten die beiden Hauptkontrahenten der Schlussphase der Wahlkampagne, Salmond fürs Ja-Lager und Labours Ex-Premierminister Gordon Brown fürs Nein, einander noch bis zur Öffnung der Wahllokale mit schwerem Herzen und mit mächtigen linken Haken aus dem Feld zu schlagen versucht. Salmond versuchte es mit seiner Beschwörung der "neuen Morgendämmerung" - vermutlich für immer nebelfrei - für sein unabhängiges Schottland. "Ein Land größeren Wohlstands, aber auch größerer sozialer Gerechtigkeit", versprach er Unabhängigkeits-Wählern. Der Wahltag, meinte er stolz, werde "ein Tag, den Schottland nie vergessen wird".

Dass es ein Tag würde, den Salmond niemals vergessen sollte, stellte Gordon Brown, sein Widersacher im No-Lager, sicher.

Unterdessen beginnt sich die ganze Geschichte schnell auszuweiten. Gleichberechtigte Behandlung von Wales, Nordirland und vor allem England wird plötzlich gefordert. Schon steht Ukip-Chef Nigel Farage bereit, um sich als "Stimme Englands" anzubieten. "Was Schottland recht ist, muss uns Engländern billig sein", meint auch der konservative Abgeordnete und Ex-Minister John Redwood, der "ein englisches Parlament" haben will. Es sei deutlich zu spüren, hat Redwood seinem Partei- und Regierungschef zu verstehen gegeben: "Es gibt eine neue Stimmung im Land."

Farage als "Stimme Englands"

Die hat auch David Cameron entdeckt. Vor der Tür von No 10 Downing Street verkündet er: "Wir haben die Stimmen Schottlands gehört. Jetzt wollen Millionen Stimmen in England gehört werden." In Belfast sagte der unionistische Regierungschef Peter Robinson anschließend: "Alle Nationen in der Union müssen natürlich beteiligt sein." Carwyn Jones, der Erste Minister in Wales, machte klar: "Wir wollen nicht zweite Geige spielen."

© WZ Online

Daheim in Edinburgh fürchten die Leute um Alex Salmond derweil, dass Camerons und der anderen Parteien "Schwur" gegenüber Schottland rasch in Vergessenheit geraten könne, wenn sich mit der Rest-Dezentralisierung zu viele Probleme ergäben.

Zwar tat Salmond seine Pflicht am Freitag. Er akzeptierte "voll und ganz das demokratische Verdikt" seiner Landsleute. Der SNP-Regierungschef tröstete sich zwar öffentlich damit, dass die Unabhängigkeits-Kampagne "ein Festival der Demokratie" gewesen sei, wie man es in Europa lang nicht gesehen habe. Doch das Projekt Unabhängigkeit, auf das Salmond über Jahre gezielt hinarbeitete, ist gescheitert.

Zu eben jenem Festival hatten die SNP-Leute ja auch wesentlich beigetragen. Und zwar mit Methoden der Grassroots-Mobilisierung und des Einsatzes sozialer Medien, die sie Barack Obamas erstem Präsidentschafts-Wahlkampf von 2008 abgeschaut hatten. Immerhin hatte die SNP sich schon des Wahlspruchs "Yes we can" bedient, bevor Obamas Mitarbeiter auf diese hübsche Formel stießen. Leider war es Obama, der ihnen deutlich machte: "No you can’t". In einem Tweet am Vorabend der Wahl ließ der US-Präsident die Schotten wissen, dass er das Vereinigte Königreich lieber "stark, robust und vereint" sähe als gespalten und getrennt.

Auch die Königin, die sich strikt aus aller Politik herauszuhalten hat, hatte es sich nicht ganz verbeißen können, ihren Untertanen zu signalisieren, wie ihr zumute war. Bei einem Gottesdienst in der Nähe ihres schottischen Sommerschlösschens Balmoral kurz vor der Wahl vertraute sie einem Zaungast an: "Well, ich hoffe, die Leute werden sehr sorgfältig über die Zukunft nachdenken." Weil sie immer selbst sorgfältig nachdenkt, verschob Elizabeth ihren großen jährlichen Balmoral-Ball vom Wahltag auf den folgenden Tag, auf den Freitagabend. Und wenigstens hatte sie dann etwas zu feiern. Die Wahlnacht selbst, hieß es, habe sie doch sehr unruhig verbracht.

Einige ihrer Untertanen, die sich vom Referendum mehr erhofft hatten, sah man am Freitag recht niedergeschlagen durch die Straßen Edinburghs spazieren. Eine als Siegesfeier angelegte große Party im Dynamic-Earth-Zentrum gegenüber dem Edinburgher Parlamentsgebäude war in der Nacht auf Freitag schnell im Sande verlaufen. Einige Teilnehmer waren den Tränen nahe. Ihre Hoffnungen waren im grauen Nieselregen des Freitags von Wahlergebnis zu Wahlergebnis zerronnen. Auf Bildschirmen sahen sie David Cameron später in London erklären, nun sei ja wenigstens die Unabhängigkeitsfrage ein für alle Mal abgehakt worden.

Also könne es "keinen Streit dieser Art, keine Wiederholung" eines solchen Referendums mehr mindestens für die Dauer einer Generation und vielleicht für länger geben. Alex Salmond formulierte das ein bisschen anders, als er seine Niederlage eingestand. Schottland habe entschieden, sagte der Nationalistenchef, "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" kein unabhängiges Land zu werden.

Wer auch immer aber zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Versuch unternehmen wird, Schottland in die Unabhängigkeit zu führen: Alex Salmond wird es nicht sein. Am Freitag, zwölf Stunden, nachdem er in Aberdeenshire im Dunklen ins Flugzeug stieg, gab der erfolgreichste und zuletzt am seinem größten Anspruch gescheiterte Nationalisten-Führer seinen Rücktritt bekannt. Im November, rechtzeitig zum nächsten SNP-Parteitag in Perth, soll eine neue Partei- und Regierungsführung gewählt werden. Der Partei und dem ganzen Land, erklärte Salmond, würde eine solche Veränderung zugute kommen. Nicht Westminster oder das schottische Parlament in Edinburgh, sondern "die Menschen selbst und die Aktivisten" seien mittlerweile die Wächter über Schottlands Zukunft, fügte er hinzu. Seine eigene Zeit an der Spitze des Landes sei fast abgelaufen: "Aber für Schottland geht der Feldzug weiter - und der Traum wird niemals sterben."