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Zu viele Regeln

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Kommission setzt in ihrem Arbeitsprogramm auf Entrümpelung bei der Gesetzgebung.


Brüssel/Straßburg. Ein schlanker Staat: Dieses Schlagwort könnte auch der Europäischen Union als Vorgabe dienen. Denn das Arbeitsprogramm der neuen EU-Kommission setzt sich nicht zuletzt eine Entrümpelung bei der gemeinsamen Gesetzgebung zum Ziel. Lediglich für das große Ganze solle die Gemeinschaft zuständig sein, befand Präsident Jean-Claude Juncker noch vor seinem Amtsantritt. Und für das Kleinere können durchaus die Mitgliedstaaten die Verantwortung tragen.

Aber allein das Vorhaben, das Ausmaß der Regulierung zu verkleinern, ist schon ein ambitioniertes. Mehr als 400 Gesetzesentwürfe liegen nämlich derzeit den EU-Institutionen vor, warten auf ihre Bearbeitung, werden diskutiert oder sind so umstritten, dass ein Kompromiss nicht möglich scheint. Nun sollen zumindest 80 Vorschläge geändert oder überhaupt gestrichen werden. Umgekehrt ist die Liste der Initiativen, die die Kommission vorlegt, weit kürzer: Auf ihr befinden sich gerade einmal 23 Gesetzesvorschläge.

Das gestern, Dienstag, beschlossene Arbeitsprogramm der Brüsseler Behörde für das kommende Jahr präsentierte deren Vizepräsident Frans Timmermans im Plenum des EU-Parlaments in Straßburg. Als Kommissar ist der Niederländer unter anderem für bessere Regulierung und die Beziehungen zwischen den Institutionen zuständig.

Gleich die Erste unter den Initiativen ist auch diejenige, die wohl die größten Erwartungen geweckt hat: ein Investitionsprogramm mit einem Umfang von 315 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren. In den Ländern wurden bereits mögliche Projekte dafür gesammelt, und das Vorhaben steht beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag zur Debatte.

Auch ein Thema, das seit einiger Zeit besonders für Aufregung sorgt, findet sich auf der Agenda der Kommission: Steuervermeidung und Transparenz. Juncker hat bereits angekündigt, in der ersten Hälfte des kommenden Jahres einen Vorschlag zum automatischen Austausch von Informationen über Steuervereinbarungen vorzulegen. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass das Land, in dem Gewinne erwirtschaftet werden, diese auch besteuert. Bisher konnten sich internationale Konzerne durch die Verschiebung von Gewinnen - auf legale Weise - teils hohe Summen ersparen.

Die Pläne der Kommission sollen jedenfalls den zehn politischen Leitlinien folgen, die sich die Behörde gesetzt hat. Dazu gehört neben der Ankurbelung von Investitionen samt Schaffung von Arbeitsplätzen oder der Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion auch die Durchsetzung eines digitalen Binnenmarktes oder der Aufbau einer Energieunion. Ebenso soll es einen Anlauf geben, eine gemeinsame Migrationspolitik zu erreichen, die bisher daran gescheitert ist, dass die Mitglieder ihre jeweilige Zuständigkeit für die Einwanderung nicht aufgeben wollen. Die Forderung nach einer Reindustrialisierung Europas, bereits von der vorigen Kommission gestellt, bleibt aufrecht.

"Groß im Großen"

Die Gesetzesvorschläge hingegen, die zurückgezogen werden sollen, betreffen unter anderem Regulierungen zum Umweltschutz. Wie die Regelung zur Energiebesteuerung. Diese sei laut Timmermans in den Debatten so verwässert worden, dass "wir unsere umweltpolitischen Ziele nicht erreichen können". Das könnte auch für bestimmte Vorgaben zur Abfallwirtschaft gelten: Die Verpflichtung zu hohen Recyclingquoten war für manche Staaten nicht hinnehmbar. Ebenfalls keine Einigung hat es bisher - auch jahrelangen Verhandlungen - zu einer Vereinheitlichung des Mutterschutzes gegeben.

Doch die Idee, bestimmte Gesetzesentwürfe zu streichen oder zu ändern, stößt im EU-Parlament nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Und die Bedenken treffen meist den jeweiligen Arbeitsbereich der Abgeordneten, folgen parteipolitischen Überlegungen. So lobt die Europäische Volkspartei die Bemühungen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Union, während die Grünen die Rücknahme von Vorschlägen im Umweltbereich kritisieren und die Sozialdemokraten sich mehr Maßnahmen zur Steuergerechtigkeit wünschen - auch wenn sie die angekündigte Initiative zum automatischen Datenaustausch begrüßten. Die Liberalen wiederum warnen vor einem "Kahlschlag" bei der Durchforstung der Gesetzesentwürfe.

In Wirtschaftskreisen stieß das Programm durchaus auf Sympathie. So gab es aus der europäischen Vereinigung Businesseurope Lob für den "politischen Mut" und die Entscheidung, "Groß im Großen" zu sein. Daher sei der Ansatz zu unterstützen, sich auf die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu konzentrieren sowie die Chancen auf Realisierung einiger Gesetzesentwürfe "realistischer einzuschätzen".

Die Skeptiker in der EU-Volksvertretung aber versuchte Timmermans zu beruhigen. Das nun vorgelegte Programm sei nicht "das letzte Wort der Kommission". Es sei vielmehr der Beginn eines Dialogs.