Zum Hauptinhalt springen

"Macht euch auf das Schlimmste gefasst"

Von Michael Schmölzer

Politik

Beobachter sprechen von Rissen innerhalb der regierenden griechischen Syriza.


Athen. Nach der Einigung mit der Eurogruppe über die Fortsetzung des Hilfsprogramms muss Griechenlands Premier Alexis Tsipras Überzeugungsarbeit leisten. Und das vor allem in den eigenen Reihen - was angesichts der inhomogenen Struktur seiner Syriza-Partei kein leichtes Unterfangen ist. Einige seiner Mitstreiter haben sich schon offen gegen das gestellt, was der Premier mit den internationalen Gläubigern vereinbart hat. So weigert sich Energieminister Panagiotis Lafazanis, das Bieterverfahren für die Privatisierung des Stromversorgers PPC und des zugehörigen Netzbetreibers ADMIE fortzusetzen. Das steht im offenen Widerspruch zu dem, was den "Institutionen", vormals als "Troika" bekannt, von Athen zugesichert worden war. Die Privatisierungen, die bereits eingeleitet sind, werden nicht gestoppt, hieß es.

"Übersetzungsfehler"

Die Deutung, dass Lafazanis auf Konfrontationskurs zu Tsipras gegangen sei und die Spaltung bevorstehe, ist nicht stichhaltig. Vielmehr ist Lafazanis auf der Linie des griechischen Premiers. Denn Syriza betreibt von Beginn an ein doppelbödiges Spiel: Scheinbar geht man auf die Forderungen der Gläubiger ein, in Griechenland selber wird eine andere Sprache gesprochen. Immerhin ist man den Wählern im Wort. So hat man sich zunächst relativ problemlos von der Idee eines weiteren Schuldenschnitts verabschiedet - bis Finanzminister Yanis Varoufakis am Mittwoch genau diese Idee wieder in die Diskussion einbrachte. Es wird tief in die Trickkiste gegriffen, auch "Übersetzungsfehler" spielen da eine wichtige Rolle. Athen hat sich offenbar nur in der englischen Version dazu verpflichtet, laufende Privatisierungen nicht zu stoppen. Im griechischen Text steht etwas anderes. Darin heißt es, dass Bieterprozesse nur dann nicht mehr gestoppt würden, wenn bereits Gebote eingegangen sind. Eine Detailfrage, die aber in der Praxis einen großen Unterschied macht.

Nicht nur der linke Rand der Syriza ist gegen den Verkauf des griechischen nationalen Eigentums. Die Parteispitze, allen voran Finanzminister Varoufakis - der sich in einem Interview mit dem "Guardian" als "wankelmütigen Marxisten" bezeichnet - vertritt in dieser Frage einen klaren Standpunkt: " Der Ausverkauf des Tafelsilbers zu Schleuderpreisen und zu Bedingungen, die nicht zur Entwicklung unserer Wirtschaft führen, muss beendet werden." Ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem linken Rand der Parteibasis, einem vorgeblich abtrünnigen Energieminister Lafazanis und der obersten Parteispitze besteht also nicht.

Tsipras ist es deshalb am Mittwoch gelungen, fast alle seiner Syriza-Abgeordneten hinter dem Abkommen mit Europa zu versammeln. Dass der Koalitionspartner Anel ausschert, spielt keine Rolle - er ist politisch viel zu schwach.

Antike Rosskur

Eine Spaltung Syrizas ist unwahrscheinlich, weil es gerade jetzt gilt, geschlossen gegen einen gemeinsamen übermächtigen Gegner anzutreten. Das Feindbild Angela Merkel wurde zuletzt durch den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble abgelöst. Dessen knorrig-kompromisslose Art macht es Syriza leicht: "Wenn ihr denkt, ihr tut gut daran, progressive Regierungen wie unsere zur Strecke zu bringen, dann macht euch auf das Schlimmste gefasst", meint Varoufakis in einem Interview mit "Charlie Habdo". Mit "ihr" ist die ganze Eurogruppe, vor allem aber Schäuble gemeint. Wenn demokratisch gewählten Regierungen die Luft abgeschnürt werde und die Wähler in die Verzweiflung gestürzt würden, "dann profitieren davon nur die Fanatiker, die Rassisten, die Nationalisten und all diejenigen, die von Angst und Hass leben", sagt Varoufakis.

Er vergleicht die von den Gläubigern abverlangten Haushaltskürzungen mit mittelalterlichen Heilpraktiken: "Damals wurden Aderlasse verschrieben, die die Kranken oft noch kranker machten, worauf sie erneut zur Ader gelassen wurden."

Fassungslos

Schäuble, Polit-Haudegen und Repräsentant der stärksten europäischen Wirtschaftsmacht, wird von Amtskollegen für gewöhnlich mit größtem Respekt behandelt. Jetzt ist er "fassungslos". Dass Athen zwei Tage bevor der Deutsche Bundestag über weitere Milliarden an Griechenland abstimmt, die getroffenen Vereinbarungen wieder in Frage stellt, will ihm nicht in den Kopf. Damit torpedieren die Griechen ihre eigene Rettung - an die sich aber vor allem, so scheint es, die Eurogruppe klammert. "Wenn die Griechen gegen die Absprachen verstoßen, dann sind diese hinfällig", warnt Schäuble im inneren Kreis. Die Griechen würden mit Füßen auf der Solidarität der Europäer herumtreten. Doch was in letzter Konsequenz geschehen wird, sagt Schäuble nicht. Er hat den Griechen im Kauderwelsch zwar ein Ultimatum gestellt - "am 28. Februar, 24 Uhr, isch over". Die Angst davor hält sich aber in Grenzen. Tatsächlich hat Varoufakis seinen Mitstreitern immer wieder vor Augen geführt, dass man sich von der Angst vor einer Staatspleite ganz einfach freimachen müsse - dann würden die Deutschen von selbst alles tun, um eine solche zu verhindern.

Intellektuellen, wie dem deutschen Sozialphilosophen und Adorno-Schüler Oskar Negt, ringt eine derartige Politik wenig Respekt ab. Im Endeffekt verhalte sich Syriza so verantwortungslos wie Börsespekulanten, so der Wissenschafter zuletzt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es werde auf allerhöchstem Niveau gespielt, als Einsatz liege die "Abkopplung einer ganzen Nation" vom europäischen Einigungsprozess auf dem Tisch.