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Eigene Wahrheit als Gegengift

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der ukrainischen Vizeminister für Informationspolitik im Interview über sein umstrittenes Ministerium.


Kiew. Der Konflikt in der Ostukraine wird nicht zuletzt auch in den Medien ausgetragen. Während der russischen Führung vorgeworfen wird, durch staatsnahe Medien gezielt Falschinformationen zu verbreiten und gegen die ukrainische Führung zu hetzen ("faschistische Junta"), hat Kiew im vergangenen Dezember ein "Ministerium für Informationspolitik" gegründet. Die Gründung wurde von scharfer Kritik begleitet, das Ministerium von Journalisten und Aktivisten als "Wahrheitsministerium" (nach dem Roman "1984" von George Orwell) verspottet. "Das ist keine Strategie, um Propaganda zu bekämpfen", kritisierte auch Dunja Mijatovic, OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Vize-Minister Artjom Bidenko darüber, was die Ziele und Funktionen des umstrittenen Ministeriums nun sind.

"Wiener Zeitung": Herr Vize-Minister, zuletzt habe ich in der Südukraine ein Graffiti gesehen: "Die Kraft der Ukraine liegt in der Wahrheit." Sehen Sie das auch so?Artjom Bidenko: Unser Motto lautet: Die beste Gegenpropaganda ist die Wahrheit. Im Spanischen bedeutet "Propaganda" eigentlich "Werbung", aber seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Wort sehr negativ aufgeladen. Wir sind aber überzeugt, dass Gegen-Propaganda auch heißt, Fake-News zu entlarven, indem man die Wahrheit sagt.

Wir wissen aber auch, dass das, was eine Regierung respektive ein Informationsministerium sagt, nicht immer zwangsläufig die Wahrheit ist.

Die Ukraine befindet sich in einer Krisen-Situation. Die bestehenden Strukturen sind dem nicht gewachsen. Eine Art Informationsministerium gab es etwa 1917 in den USA oder zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Großbritannien.

Aber ist das in Zeiten des Internets nicht ein Anachronismus?

Wir müssen klar unterscheiden zwischen Informationen, die Journalisten verbreiten, und Informationen, die staatliche Organe verbreiten. Bei Letzterem muss man sagen: Da sind die ukrainischen Behörden noch im vergangenen Jahrhundert.

Ist das Informationsministerium also einfach so etwas wie eine große Pressestelle für den Staat?

Ja, das ist eine Funktion. Die zweite Funktion ist es, die Informationen der staatlichen Organe zu koordinieren. Und dann gibt es noch die Konzeption der Gegen-Propaganda. Wir machen keine Zensur, wir sagen den Journalisten nicht, was sie schreiben sollen und was nicht. Davor hatten ja alle Angst. Wir kümmern uns nur um die staatliche Kommunikation.

Laut Minister Juri Stez geht es um den "Kampf um die Gehirne"...

Nehmen wir Slawjansk (Stadt im Donbass, die im Sommer 2014 wieder von den Regierungstruppen eingenommen wurden, Anm.). Dort wurde der Fernsehturm vom Strom gekappt. Dabei geht es aber nicht einfach um einen Fernsehturm, sondern um die Sicherheit des Landes. Wir sorgen dafür, dass dort die (ukrainischen) TV-Sender wieder empfangen werden. Oder Mariupol (ukrainisch kontrollierte Stadt nahe der Front, Anm.). Es gibt dort keine ukrainischen Informationen. Wir suchen eine Finanzierungsquelle, um Flugblätter zu drucken und zu verteilen.

Im Februar wurde zudem das Projekt "Informationsarmee" gegründet als Antwort auf die so genannten russischen "Trollfabriken", also Blogger und Kommentatoren, die gegen Bezahlung in sozialen Medien die russische Sicht der Dinge verbreiten. Was steckt dahinter?

Täglich analysiert unsere Monitoring-Gruppe, welche News in Russland laufen. Wir suchen zu diesen Informationen offizielle Statements. Die russische Meldung lautet etwa: Kanada unterstützt die Ukraine nicht mehr. Wir schreiben: Der Premierminister von Kanada hat gesagt, dass er die Ukraine sehr wohl unterstützt. Wir verbreiten diese Info an unsere 40.000 Abonnenten - unsere Informationskrieger -, die das dann über die sozialen Medien weiterleiten. Insgesamt erhalten so täglich rund eine Million Leser die Information, was Fake und Wahrheit ist. Wir sind wie ein Medium, ein Newsletter - nicht mehr.

Auf der Homepage sieht das alles sehr martialisch aus: Im Hintergrund ein Trümmerfeld, davor ein Button: Tritt in die ukrainische Informationsarmee ein. Ist das nicht einfach dasselbe wie die viel kritisierten russischen Trolle?

Nein, sie werden nicht bezahlt und sind auch keine Mitarbeiter des Ministeriums, sondern nur Leser. Es beruht auf Freiwilligkeit, es gibt keine Verpflichtungen. Wir können nur asymmetrisch auf die russischen Trolle reagieren. Möglicherweise investiert der Kreml Millionen dafür. Wir haben aber diese Mittel nicht und können nur eine Struktur für Freiwillige schaffen. Die Menschen machen das, weil sie Patrioten sind und eine bestimmte Information weiter verbreiten wollen.

Wer über die Ukraine-Krise berichtet, ist mit einer Flut an negativen Reaktionen im Netz konfrontiert. Zuletzt sind aber auch immer mehr pro-ukrainische Kommentare bemerkbar, die teilweise auch sehr aggressiv sind. Wenn das die Informationskrieger sind - dann bin ich mir nicht sicher, ob das der Ukraine wirklich hilft.Soziale Medien sind kein Instrument, um ein bestimmtes Resultat zu erzielen. Wenn russische Medien berichten, dass ein Kind in Slawjansk von Ukrainern gekreuzigt wurde (eine Falschmeldung im russischen Staatsfernsehen, Anm.), dann führt das nicht dazu, dass die UNO die Ukraine bestraft. Es führt zu einer bestimmten Emotion - für Russland, oder gegen die Ukraine. Und wir versuchen auch, eine Emotion zu erzeugen. Wir wollen die Gesellschaft um bestimmte Werte sammeln.

Welche Werte sind das?

Freiheit, Wahrheit, Meinungsfreiheit, Patriotismus.

Aber gerade Patriotismus verträgt sich nicht immer mit der Meinungsfreiheit.

Wir haben keine Zensur. Patriotismus ist die Liebe zu seinem Staat. Daran kann ich nichts Schlechtes finden.

Es gab sehr viel Kritik an der Gründung des Ministeriums - auch, weil sie erst so kurz vor der Angelobung im Dezember bekannt gegeben wurde.

Das stimmt nicht - Sie geben nur das weiter, was russische Medien sagen. Wir müssen uns klar sein, dass es innerhalb der Ukraine eine fünfte Kolonne gibt, die falsche Informationen verbreitet. Von Dezember bis Jänner gab es eine öffentliche Diskussion über die Lage des Ministeriums. Und ich kenne kein einziges Ministerium in der Ukraine oder in anderen Ländern, dessen Statut von unabhängigen Medienjuristen redigiert wurde. Wie soll das nicht ein Zeichen von Offenheit und Transparenz sein?

Dennoch wurde das Ministerium ohne eine breite vorherige Debatte im Parlament durchgeboxt - kein Musterbeispiel von Transparenz.

Es gab ein paar Stimmen, die dagegen waren, aber die Abgeordneten haben trotzdem für diese Regierung gestimmt.

Was ist heuer noch geplant?

Der Minister hat klar gesagt, dass das Ministerium am Ende des Jahres aufgelöst wird. Unser Ministerium ist wie ein Krisenmanager, wie der Kommissar, der zum Tatort kommt. Es versucht, die Instrumente zu schaffen. So wie die Gründung des Senders, der dann eigenständig arbeitet. Wir werden unseren eigenen Sender gründen, der auch in der EU empfangen werden kann: "Ukraine Tomorrow". Auf Russisch, Englisch, Krimtatarisch und Ukrainisch.

Aber es gibt ja schon den englischsprachigen Auslandssender "Ukraine Today" und "Hromadske International". Braucht man wirklich noch einen Kanal über die Ukraine?

Das sind private Initiativen. Wir können nicht sicher sein, dass Ukraine Today (gehört dem Oligarchen Ihor Kolomojski, Anm.) das zeigt, was notwendig ist. Wir wollen einen Sender, der wirklich das zeigt, was in der Ukraine vor sich geht - eine Art ukrainische BBC.

Ich habe ein Zitat des Ministers Stez gefunden - wenn das Informationsministerium schon 1991 gegründet worden wäre, dann wären die Krim und der Donbass noch immer ukrainisch kontrolliert. Aber das widerspricht doch dem Ansatz, dass das Ministerium nur eine Notmaßnahme ist.

Ich sage bewusst: In Krisenzeiten, nicht in Kriegszeiten. Weil Krise, das ist auch Inflation und wirtschaftliche Probleme. Und im Jahr 1991 lebte die Ukraine in Zeiten der Krise. Und wenn es schon damals eine Struktur gegeben hätte, die klar festlegt, welche Informationen gegeben werden sollen - dann wäre das alles möglicherweise nicht passiert.

Zur Person
Artjom  Bidenko (geb. 1981) ist seit Februar Vize-Minister für Informationspolitik, dabei verantwortlich für das Projekt "Informationsarmee". Zuvor war der studierte Politologe in der Werbebranche tätig.