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Nachhaltigkeit schlüpft durch großmaschige Netze

Von Konstanze Walther

Politik
Der Gemeine Dorsch - Illustration aus "Die Naturgeschichte der Tiere" von Adam White. GraphicaArtis/Corbis

Die EU einigt sich auf Dorsch-Fangquoten in der Ostsee und missachtet selbst gesteckte Vorgaben.


Brüssel. Dass die Meere lebensnotwendig für den Menschen sind, ist nichts Neues. Doch dass die von der EU beschlossenen Fischereireform noch größere Schlupflöcher aufweist als ein jahrhundertaltes Fangnetz, das mag noch überraschen.

Konkret einigten sich die EU-Staaten 2014 auf eine Reform, die am Papier sogar von Umweltschutzorganisationen gelobt wurde: Man wolle die Bestände schützen. Man wolle nachhaltiger fischen. Man werde den Beifang in die gefischten Gewichtsmengen mit einberechnen: Also jene Fische oder Meerestiere, die mit ins Netz gekommen sind, aber nicht das sind, wonach eigentlich gefischt wurde. Da die großen Fischereiboote unselektiv die Meere mit ihren Netzen durchkämmen, gehen auch Meeresbewohner ins Netz, die zu klein, zu ungenießbar, verboten, geschützt und dergleichen sind und nicht verkauft werden können. Dieser Beifang wurde bisher wieder ins Wasser geschmissen, fast immer im toten Zustand.

Überfischung stoppen"wo es möglich ist"

So ist Anfang 2014 die EU-Fischereireform beschlossen worden, die besagt, dass ab 2015 die Überfischung gestoppt werden soll, "dort, wo es möglich ist". In allen anderen Gebieten soll die Überfischung erst ab 2020 gestoppt werden. Nun fallen aber sehr viele EU-Gewässer unter diese Ausnahme - es also in praktisch keinem Gewässer schon ab 2015 möglich ist, die Überfischung zu stoppen. Eigentlich müssten die Länder eine Rechtfertigung erbringen, weshalb sie erst ab 2020 ihre Quoten eindämmen können. Doch laut Justine Maillot, die für Greenpeace in Brüssel die Fischereipolitik verfolgt, hat bisher kein Land eine Rechtfertigung für die Aufschiebung der Überfischung erbracht.

Und weil es nach Verabschiedung der Fischereireform im Mai 2014 vielleicht zu kurzfristig war, die Quoten für 2015 anzupassen - die meisten Fangquoten werden jährlich festgesetzt -, hegten Umweltschützer die Hoffnung, dass die Quoten für 2016 dem Gedanken der Fischereireform Tribut zollen. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Die Agrar- und Fischereiminister der EU-Staaten trafen sich am Donnerstag und Freitag, um die Quoten für den Fischfang in der Ostsee für nächstes Jahr festzusetzen. Bei der Abstimmung, bei der nicht nur die Anrainerstaaten gefragt, sondern alle EU-Staaten stimmberechtigt sind, reicht die einfache Mehrheit. Üblicherweise fordern Fischereinationen die höchstmögliche Quote. Die österreichische Position war auf Nachfrage nicht zu eruieren. Und es steht fest, dass die Minister sich - wie so oft - auf den Vorschlag der EU-Kommission einigen: Bezüglich des auf Deutsch etwas verquer genannten "östlichen Ostsee-Dorsches" - der auch in der westlichen Ostsee vorkommt und ebenfalls unter dem Namen Kabeljau bekannt ist - hat die EU etwa eine Fangmenge von 41.100 Tonnen für das nächste Jahr vorgeschlagen. "Das sind 20 Prozent weniger als im Jahr davor", schreibt die EU-Kommission. Die vorgeschlagene Fangmenge sei in Übereinstimmung mit dem Ratschlag des Internationalen Rates für Meeresforschung ICES getroffen worden, heißt es auf der Homepage.

Das ist so nicht ganz richtig. Denn der ICES (International Council for the Exploration of the Sea) in Kopenhagen empfiehlt in seinem "ICE Advice 2015 Book 8" eine Fangmenge von nur 29.200 Tonnen. Damit übersteigt der Vorschlag der Kommission den des ICES um satte 40 Prozent. Das ist umso bemerkenswerter, als explizit auf der Homepage der EU-Kommission geschrieben steht, dass das mit der Reform der EU-Fischereipolitik die Quoten-Vorschläge "auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten über den Zustand der Bestände von Beratungsgremien wie dem ICES" gemacht werden.

Die Größe des Dorsches istsignifikant zurückgegangen

Dem Bestand des östlichen Ostsee-Dorsches ging es schon mal besser. Die Fangmenge von Fischen, die 30 Zentimeter oder größer sind, ist in den vergangenen drei Jahren signifikant zurückgegangen. Da man das Alter der Dorsche nicht bestimmen kann, muss man über die Gründe mutmaßen. Laut dem Rat für Meeresforschung kommen für die "geringere Biomasse", wie die kleineren Fische im Fachjargon heißen, folgende Faktoren in Frage: Vielleicht hat kam es zu einer biologischen Anpassung, und die Fische sind kleinwüchsiger. Oder es liegt daran, dass es kaum noch "erwachsene" beziehungsweise ältere Dorsche in der Ostsee gibt. Entweder wegen eines "Anstiegs des natürlichen Fischsterbens oder wegen eines Anstiegs der Fischerei von großen Dorschen", schreibt der ICES.

Hier hat die EU reagiert: Die Minimalgröße für Ostsee-Dorsch ist von der EU mit 2015 heruntergesetzt worden.

Aber keine der drei Erklärungen klingt beruhigend.

Vor allem in Anbetracht des fragilen Zustands der Meere. Die Gewässer, die unseren blauen Planeten ausmachen, kämpfen, grob umrissen, mit drei wesentlichen Faktoren: dem Klimawandel, der Plastikvermüllung und der Fischerei. "Und wenn man sich ansieht, welche Effekte zum Artensterben und zum Lebensraumverlust führen, dann ist es die Fischerei, die den negativsten Einfluss auf den Zustand der Meere hat", urteilt Thilo Maack, Meeresbiologe bei Greenpeace Deutschland. Deswegen hätte sich die EU schließlich ja auch darauf geeinigt, die Fangflotten zu verkleinern, die Beifänge in den Griff zu bekommen und die Bestände nachhaltig zu bewirtschaften. "Das sind alles richtige und wichtige Sachen, aber es fehlt nach wie vor an der Umsetzung", erklärt Maack.

Umweltschützer plädieren für eine sogenannte passive oder stille Fischerei: jene mit Angeln oder Stellnetzen, Fangkörben, Reusen: Netze, die ins Wasser gestellt werden. Wenn diese vom Fischer eingebracht werden, leben noch alle gefangenen Tiere. Der "Beifang", also der nicht für den Konsum verwendbare Fisch, wird unbeschadet wieder ins Ökosystem zurückgeworfen.

Populärerer ist hingegen der "aktive" Fischfang, bei dem große Schiffe mit unglaublich starker Motorenleistung die Gewässer durchkämmen und riesige Trawl-Netze, die wie ein Trichter geformt sind, hinter sich herziehen. Die Netze werden zumeist 24 Stunden hinter dem Boot hergeschleppt, und alles, was im hinteren Ende des Trichters ist, im Steert oder Cod-End, wird automatisch zusammengepresst. Die wenigsten Meeresbewohner haben da Überlebenschancen.

Ein Beifang-Verbot ohne Konsequenzen

Wenn diese Netze über den Meeresgrund gezogen werden, wird zudem auch der Boden und alles, was darauf wächst, geschädigt.

Zu den Fischen, die sich in Bodennähe aufhalten, zählen alle Kabeljau-Artigen - also auch die Ostsee-Dorsche, sowie beispielsweise Rotbarsch und Seelachs.

Laut dem ICES wurden im Jahr 2014 stattliche 84 Prozent der Ostsee-Dorsche durch "aktiven Fischfang" gefangen, also durch jene Netze, die hinter den Booten hergeschleppt worden sind. Von den insgesamt gefangenen 45.657 Tonnen an Fisch, die dabei ins Netz gegangen sind, wurden 11.309 Tonnen, also ein Viertel des Fanges, wieder ins Meer geworfen.

Während gegen diese Art der aktiven Fischerei noch nicht vorgegangen wird, soll zumindest die Menge des zurückgekippten Fisches verkleinert werden: Dem Ökosystem sollen nicht weiterhin "sinnlos" Meeresbewohner entzogen werden. Fischern sollen sich bemühen, selektiver zu fischen.

Mit 2015 ist diese Praxis des Ins-Meer-Kippens eigentlich in bestimmten Regionen - unter anderem bei dem Fischen nach Ostsee Dorsch - verboten, ab 2019 ist sie für alle EU-beflaggten Schiffe verboten: Der meiste Beifang muss gelandet werden, wird zu Tierfutter verarbeitet - und fällt in die Quotenregelung.

Konsequenzen der Missachtung des Wegkipp-Verbots soll es aber erst ab 2017 geben.