Zum Hauptinhalt springen

Im Eiltempo in die Krise

Von WZ-Korrespondent Ulrich Krökel

Politik

In Polen boykottierte die Regierung eine Sitzung des entmachteten Verfassungsgerichts. | Das Land steuert auf einen schweren konstitutionellen Konflikt zu.


Berlin. (n-ost) Polen steuert auf eine schwere Verfassungskrise zu. "Wir haben es mit einem Rechtsnihilismus der Regierung und der Parlamentsmehrheit zu tun", erklärte am Dienstag Jerzy Stepien, ein ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts, und forderte: "Wenn es nicht in letzter Minute einen Kompromiss gibt, dann bleibt kein anderer Ausweg als eine Neuwahl des Parlaments. Dann ist der Souverän gefragt."

In der polnischen Wirklichkeit sind allerdings weder Kompromissformeln noch Neuwahlen in Sicht. Am Dienstag kam das Verfassungsgericht in Warschau zu Beratungen in eigener Sache zusammen - und wurde von der seit November amtierenden Rechtsregierung demonstrativ boykottiert. "Die Richter können sich gern zum Kaffeeklatsch treffen, aber ihr Urteil wird keine Bedeutung haben", erklärte der Abgeordnete Patryk Jaki von der Koalitionspartei Solidarna Polska, der auch Justizminister Zbigniew Ziobro angehört. Ziobro selbst hatte vergeblich eine Verschiebung der Verhandlung gefordert.

"Sitzung hat keine Grundlage"

Damit nahm die offene Konfrontation der wichtigsten Staatsorgane ihren Lauf. Die anwesenden zwölf von 15 Verfassungsrichtern - drei gelten als dezidiert regierungsnah - hörten am Dienstag vom frühen Morgen bis in den Abend hinein Experten verschiedener Staatsorgane sowie unabhängige Juristen und Repräsentanten der Zivilgesellschaft an, um sich eine fundierte Meinung über ein Eilgesetz der Regierung zu bilden, das nach Einschätzung der meisten Fachleute das höchste Gericht selbst lähmt. Die Beratungen sollen am Mittwoch fortgesetzt werden. Der Neuregelung vom Dezember zufolge müssen künftig an jeder Entscheidung 13 von 15 Richtern des Tribunals beteiligt sein, die ihre Urteile zudem mit Zweidrittelmehrheit fällen müssen. Außerdem dürfen sie in ihrer Arbeit keine Prioritäten mehr setzen, sondern müssen stoisch selbst völlig aussichtslose Anträge streng chronologisch abarbeiten. Die Regierung und die sie tragende Parlamentsmehrheit wollen jedes nicht genehme Urteil schlicht ignorieren. "Diese Sitzung hat keine rechtliche Grundlage", erklärten mehrere Abgeordnete der Regierungspartei PiS des Rechtpopulisten Jaroslaw Kaczynski. Kaczynskis langjähriger Berater Zdzislaw Krasnodebski hatte die Marschrichtung bereits zu Jahresbeginn erläutert: "Ein solches Urteil (von zwölf Richtern, Anm.) würde seinerseits gegen die Verfassung verstoßen, denn darin heißt es, dass die Arbeit des Tribunals per Gesetz vom Parlament bestimmt wird." Die Folge: "Wir stecken dann in einem Teufelskreis."

Oder eben, anders formuliert, in einer Verfassungs- und Staatskrise. Diese Begriffe wählen Kritiker der PiS-Regierung wie der Gründer der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung KOD, Mateusz Kijowski: "Die PiS zerstört den Rechtsstaat und die Demokratie", erklärte er am Dienstag bei einer Kundgebung vor dem Verfassungsgericht. Aber auch die Venedig-Kommission des Europarates scheint zu dieser Sichtweise zu tendieren. Das internationale Expertengremium, dessen Aufgabe es ist, Mitgliedsstaaten in Fragen des Verfassungsrechts zu beraten, will sich Ende der Woche zur Lage in Polen äußern. Ein Entwurf des Kommissionsberichts gelangte bereits vor einigen Tagen an oppositionelle Medien in Warschau, die daraus ausgiebig zitierten.

"Wir kapitulieren nicht"

Demnach sei das Verfassungsgericht gelähmt worden und der Rechtsstaat in Gefahr. Auch das Wort Verfassungskrise werde verwendet. Polens Außenminister Witold Waszczykowski versuchte in den vergangenen Tagen, die Veröffentlichung des "Venedig-Verdikts" zumindest vorerst zu verhindern und weitere Beratungen bis Juni zu erzwingen. Als das Gremium hart blieb und die Vorlage des Berichts für den 11./12. März ankündigte, griff Kaczynski die internationalen Experten prophylaktisch scharf an: "Wir sind keine Kolonie. Wir werden unsere nationalen Angelegenheiten ohne Hilfe von außen erledigen", erklärte der PiS-Vorsitzende und riet allen Kritikern: "Möge niemand darauf rechnen, dass wir kapitulieren." Das heißt auch, dass es Neuwahlen in Polen so bald nicht geben wird. Im Gegenteil: Die Rechtsregierung bereitet ein neues Wahlgesetz vor, das die Chancen der PiS bei künftigen Abstimmungen weiter verbessern soll. In ihrer knapp vier Monate andauernden Amtszeit hat die Regierung einen Staatsumbau eingeleitet. Kaczynski spricht von "Reparatur". So wurden die öffentlich-rechtlichen Medien sowie die Justiz unter direkte Kontrolle der Ministerien gestellt.