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"Wir sind nicht verstummt"

Von Arian Faal

Politik

Hunderte demonstrierten am dritten Jahrestag des Beginns der Gezi-Proteste. Die Polizei nahm mehr als ein Dutzend Demonstranten fest.


Istanbul. Am dritten Jahrestag des Beginns der von der türkischen Regierung brutal niedergeschlagenen Gezi-Park-Proteste haben am Dienstag und Mittwoch in Istanbul mehrere hundert Menschen gegen die ultraislamische und konservative Führung des Staates demonstriert.

Auf der berühmtesten Einkaufsstraße des Landes, der Istiklal Caddesi im Zentrum der türkischen Hauptstadt, skandierten die vorwiegend jungen Demonstranten mit einem Seitenhieb auf die Regierungspartei AKP: "Wir sind nicht verstummt", "Dieb, Mörder AKP" und "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand".

Bittere Erinnerungenan das Jahr 2013

Die bitteren Erinnerungen wurden untermauert von einer starken Polizeipräsenz im gesamten Taksim-Viertel. Wasserwerfer und Panzer standen bereit. Dutzende Aktivisten der Dachorganisation "Taksim Solidarität", die eine führende Rolle bei den Protesten damals gespielt hat, forderten vergeblich, zum Gezi-Park vorgelassen zu werden. Den Park am Taksim-Platz hatte die Polizei zuvor hermetisch abgeriegelt.

Am Dienstag nahm die Polizei 16 Aktivisten in den Büros der Istanbuler Architektenkammer fest, die damals die Baupläne im Gezi-Park abgelehnt und die Proteste unterstützt hatte. Zeugen beobachteten, wie sie in einem Polizeibus fortgebracht wurden. Medienberichten zufolge hatten sie sich einer Räumungsanordnung widersetzt. Viele der Angehörigen von Opfern der Polizeigewalt bei den Protesten vor drei Jahren hielten Blumen in der Hand und beteten.

Die Gezi-Proteste begannen Ende Mai 2013. Sie richteten sich zunächst gegen ein umstrittenes Einkaufszentrum und die Zerstörung der Grünflächen im Gezi-Park, weiteten sich dann aber zu landesweiten sozialen Aufschrei gegen die AKP aus. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan ließ die Gezi-Proteste von der Polizei niederschlagen. Mindestens zwölf Personen kamen damals ums Leben, hunderte Menschen, darunter Schwangere, Kinder und ältere Menschen, wurden zum Teil schwer verletzt. "Früher glich der Taksim-Platz einem Kirtag. Straßenmusikanten, Kukuruzverkäufer, streunende Katzen, Hunde und kleine Äffchen mischten sich unter die Touristen. Doch heute liegt der Schleier der Gewalt über diesem Gebiet", sagt Özgün Shaki, eine der Demonstrantinnen. Heute stehe der Platz als Symbol einer Nation, die ihre Freiheit wolle. Der Tenor, wenn man die Menschen fragt, warum sie drei Jahre danach hier stehen und innehalten wollen, ist stets derselbe. Es gehe darum, der Welt zu zeigen, dass Erdogan seine eigene Bevölkerung wie Feinde behandle, ihre Forderungen ignoriere und die Polizei so brutal sei.

Internetcafés alsLazarette für Verletzte

Unvergessen sind die Bilder, als die Sicherheitskräfte die eigene Bevölkerung mit Wasserwerfern, die offenbar eine ätzende Substanz enthielten, angriff und Tränengas den Taksim-Platz zu einem brutalen Schlachtfeld machte. Kinder fielen weinend zu Boden, Panik brach aus. Internetcafes wurden zu Lazaretten für Verwundete und Menschen mit Atemproblemen. Die Proteste fanden übrigens auch in den sozialen Netzwerken statt.