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Triumph der Frauen

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Bei den italienischen Kommunalwahlen erobert die 5-Sterne-Bewegung mit zwei jungen Kandidatinnen Rom und Turin. Damit hat die Protestpartei Premier Renzi zwar eine herbe Schlappe verpasst, doch nun muss sie zeigen, dass sie auch regieren kann.


Rom. Die Anhänger skandierten Chöre wie im Fußballstadion. Das Lob galt diesmal allerdings nicht muskulösen Sportlern, sondern einer zierlichen Frau, die verlegen ihr Haar hinter die Ohren strich. "Virginia, Virginia, Virginia", riefen die Fans. Vor ihnen auf einer kleinen Bühne stand die erste Frau im Amt des Bürgermeisters von Rom, die 37 Jahre alte Virginia Raggi.

Am Sonntag hatte sich die Kandidatin der 5-Sterne-Bewegung (M5S) in der Stichwahl gegen ihren Konkurrenten Roberto Giacchetti (Demokratische Partei) durchgesetzt. Raggi bekam 67,2 Prozent der Stimmen, Giacchetti nur 32,8 Prozent. Kommentatoren sprachen dementsprechend von einem Erdrutschsieg. "Wir haben Geschichte geschrieben", sagte Raggi vor ihren Fans. Am Sonntag waren in insgesamt 126 italienischen Gemeinden die Bürgermeister gewählt worden. Die Entscheidung in der italienischen Hauptstadt war das prestigeträchtigste Duell zwischen der vom Komiker Beppe Grillo gegründeten Protestbewegung und der Demokratischen Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi, der politisch zunehmend in Bedrängnis gerät und das schlechte Abschneiden seiner Partei eingestand.

Renzi musste auch in anderen Städten Niederlagen gegen die 5- Sterne-Bewegung hinnehmen. So setzte sich in Turin die erst 32 Jahre alte Chiara Appendino mit 54,6 Prozent gegen den amtierenden PD-Bürgermeister Piero Fassino durch, der 45,4 Prozent der Stimmen erreichte. Die Grillo-Bewegung gewann in 19 von 20 Stichwahlen, in denen sie vertreten war. Schadensbegrenzung für Renzi bedeutete der Sieg des PD-Kandidaten und ehemaligen Expo-Managers Giuseppe Sala in Mailand, der sich knapp gegen den konservativen Kandidaten Stefano Parisi durchsetzte.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Mit ihren Siegen in Rom und Turin gelangen der 5-Sterne-Bewegung laut der Tageszeitung "La Stampa" gleich "drei Revolutionen in einem". Die neuen Amtsinhaberinnen sind jung, weiblich und gehören der erst 2009 von Beppe Grillo gegründeten Protestpartei an, die sich nun zu höherem berufen sieht. "Wir sind bereit, das Land zu regieren", sagte der 29 Jahre alte Anwalt Luigi Di Maio, der als Kandidat der 5-Sterne-Bewegung für das Amt des Ministerpräsidenten gilt. Spätestens im Jahr 2018 finden in Italien wieder Parlamentswahlen statt. In Rom und in Turin muss die Bewegung daher jetzt zeigen, dass sie mehr kann als Opposition.

In der italienischen Hauptstadt bezieht die Urheberrechts-Anwältin Raggi nun das oft als "schönstes Büro der Welt" bezeichnete Amtszimmer des Bürgermeisters auf dem Kapitol. Von dort blickt sie auf die Ruinen des Forum Romanum und das Kolosseum, die wie eine Metapher für das moderne Rom wirken. Die Hauptstadt Italiens zehrt von seiner beinahe dreitausendjährigen Geschichte, die Gegenwart gleicht aber einem Trümmerhaufen. So will die Bürgermeisterin in einer ihrer ersten Amtshandlungen zunächst einmal die Gläubiger des 13 Milliarden Euro umfassenden Schuldenberges der Stadt feststellen. Dann gilt es, gegen die unzähligen Missstände in der Stadt und die ausufernde Vetternwirtschaft vorzugehen. Deren Ausmaß wurde offensichtlich, als die Staatsanwaltschaft im Dezember 2014 ein "Mafia Capitale" genanntes Netzwerk von Unterweltbossen und korrupten Kommunalpolitikern verschiedenster Couleur aufdeckte. Raggis wohl schwierigste Aufgaben wird es daher sein, transparente und korrekte Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuführen und korrupte Funktionäre zu entmachten. Gleichzeitig müssen die hochverschuldeten Verkehrsbetriebe, die schlecht verwaltete Müllentsorgungsgesellschaft, aber auch die bislang gegen jeden Wandel resistent wirkende Stadtpolizei in funktionierende Apparate umgebaut werden. Immer wieder legen zudem die Gewerkschaften mit Streiks das öffentliche Leben der Hauptstadt lahm.

Raggis Versprechen wirkten im Wahlkampf aber teils unbeholfen und vage. So schlug sie zur Reduzierung des Mülls die Benutzung waschbarer Babywindeln oder eine Seilbahn im Personennahverkehr vor. Die Römer wären hingegen schon zufrieden, wenn die unzähligen Schlaglöcher auf den Straßen beseitigt und Busse und Trams zuverlässiger würden.

Alle für das Gemeinwohl

Die junge Bürgermeisterin, die erst im Februar bei einer Onlineabstimmung mit nur 1764 Stimmen zur Spitzenkandidatin der Grillo-Partei gewählt wurde, strebt aber auch einen dringend notwendigen kulturellen Wandel in Rom an. "Wir müssen alle dazu bringen, für die ganze Stadt und nicht nur für die eigenen vier Wände zu arbeiten", sagte Raggi in der Nacht ihres Wahlsieges. Die Römer müssten sich wieder mehr für das Gemeinwohl engagieren. Nach den großen Enttäuschungen der Vergangenheit dürfte das eine der größten Herausforderungen für die neue Bürgermeisterin werden.