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Das selbst gemachte Problem

Von Siobhán Geets

Politik

Wie konnte es überhaupt zum Referendum über den EU-Austritt kommen? Der britische Premier David Cameron hat die Büchse der Pandora geöffnet.


London/Wien. Wie ein Sieger sah David Cameron nicht gerade aus an jenem kalten Jännertag im Jahr 2013, der das Verhältnis Großbritanniens zu Brüssel für immer ändern sollte. Es werde "ein Referendum mit der einfachen Drinnen-oder-draußen-Entscheidung" geben, sagte der britische Premier damals vor dem Regierungssitz in der Londoner Downing Street 10. Sollte er dann noch Premier sein, werde man spätestens 2017 entscheiden, "unter diesen neuen Gegebenheiten in der EU zu bleiben oder vollkommen auszutreten".

Der Druck der Euroskeptiker aus den Reihen seiner eigenen Konservativen Partei war zu groß geworden - und Cameron wollte angesichts der 2015 anstehenden Unterhauswahlen den innerparteilichen Frieden wahren. Doch der Plan ging nach hinten los: Nie waren die Tories so gespalten wie heute, zweieinhalb Jahre später. Camerons Versprechen, anfangs von vielen als eher geringes Risiko eingeschätzt, ist zum unberechenbaren Monster geworden.

Euroskeptische Tories

Dabei war Cameron noch 2012 gegen ein Referendum über den EU-Austritt gewesen. Doch dann bekamen die Nationalisten der euroskeptischen Partei Ukip immer mehr Zulauf. Ihre Anti-EU-Slogans wirkten, die Stimmung im Land wandte sich gegen die Union. Und der EU-Skeptizismus machte auch vor den Tories nicht halt. Immer mehr Mitglieder aus Camerons Konservativer Partei schlossen sich der Argumentation der populistischen Ukip an.

Die wenigen verbleibenden Unterstützer Camerons sagen, er habe das Referendum angesetzt, damit es nicht später stattfindet, unter einer möglichen Anti-EU- und Anti-Migrations-Regierung mit Beteiligung Ukips. Unter Cameron, so der Tenor, sei die Chance auf einen Verbleib größer.

Der Wunsch vieler Briten, die Union zu verlassen, ist nichts Neues. Die Debatte über einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs ist so alt wie die Mitgliedschaft selbst. 1973 beigetreten, stimmten die Briten bereits 1975, zwei Jahre später, über einen Austritt aus der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ab - mit erstaunlichem Ergebnis: 67 Prozent der Befragten sprachen sich für den Verbleib aus, mehr als jemals zuvor oder danach bei einem britischen Wahlgang für eine Seite oder Partei erzielt wurde.

"Unvernünftigste Entscheidung"

Dass das heutige Referendum ebenso klar ausgeht, ist so gut wie ausgeschlossen. Dabei ist es die wichtigste Abstimmung, vor der das Vereinigte Königreich jemals stand - und "die zu meinen Lebzeiten wohl unvernünftigste Entscheidung einer britischen Regierung", wie es "Financial Times"-
Kommentator Martin Wolf formuliert. Bei einem Austritt würde sich alles ändern - nicht nur die Beziehungen zur EU, sondern auch innenpolitisch. Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson und Justizminister Michael Gove, beide glühende Brexit-Befürworter und Parteikollegen Camerons, würden wohl das Ruder übernehmen. Umso heftiger lastet der Druck auf dem britischen Premier. Cameron hat zwar bereits angekündigt, bei den nächsten Unterhauswahlen im Jahr 2020 nicht mehr antreten zu wollen. Die Frage ist nun nur noch, ob er den Zeitpunkt seines Abgangs selbst bestimmen kann - oder frühzeitig aus dem Amt gedrängt wird. Entscheiden seine Landsleute heute, Donnerstag, aus der EU austreten zu wollen, müssen Cameron und sein Schatzkanzler George Osborne wohl demnächst gehen.

Zugleich ist es alles andere als sicher, dass Cameron bis 2020 bleiben kann, sollte seine Stay-Kampagne Wirkung zeigen. Die Brexit-Debatte hat ihm immens geschadet, viele seiner Parteikollegen werfen Camerom vor, das Vertrauen in die Politik ruiniert zu haben. Cameron ist innenpolitisch gestolpert - und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er auf den Beinen landet. Bei einem Brexit wird es eher eine Bauchlandung. Und Cameron geht in die Geschichtsbücher ein als der Premier, der Großbritannien - wenn auch unabsichtlich - aus der Union geführt hat.