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Konservative Kollaborateure der Populisten

Von Thomas Seifert

Politik
Jan-Werner Müller

Der renommierte Politikwissenschafter Jan-Werner Müller über willfährige Helfer und Normalisierer.


"Wiener Zeitung": Politische Beobachter bekommen derzeit die unterschiedlichsten Signale: Brexit. Der Wahlsieg von Donald Trump. Nun der Wahlsieg von Alexander van der Bellen. Was lässt sich aus diesen Signalen für die Zukunft unserer politischen Systeme ablesen?Jan-Werner Müller: Ich mache keine Voraussagen, vor allem dann nicht, wenn sie die Zukunft betreffen . . . Was ich in jedem Fall für einen Fehler halte, ist zu konstatieren: Aha! Da rollt eine Populismus-Welle über uns. Eine Welle, die vom Pöbel, vom Mob, von unvernünftigen Leuten getrieben wird und die zu Brexit und Donald Trump geführt hat und uns bald Geert Wilders in den Niederlanden, Beppe Grillo in Italien und Marine Le Pen in Frankreich bescheren wird. Fakt ist: Rechtspopulisten haben es bisher weder in einem westeuropäischen Land noch in Nordamerika geschafft, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. Ein Sieg von Norbert Hofer bei der Wahl am Sonntag wäre somit ein echter Bruch gewesen.

Mit den Brexit-Trump-LePen-Strache-Vergleichen macht man es sich also zu einfach?

Bei solchen sehr schnellen Analogieschlüssen wird völlig übersehen, dass zum Beispiel der Brexit nicht von Nigel Farage und Ukip alleine bewirkt wurde. Man kann außerdem mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Donald Trump als Kandidat einer dritten Partei wohl keine Chance gehabt hätte. Beide hatten für ihren Erfolg Unterstützer - oder etwas böse formuliert - Kollaborateure aus sogenannten etablierten Mainstream-Parteien dringend nötig. Ukip-Chef Farage brauchte konservative Politiker wie Boris Johnson und Michael Gove. Trump verließ sich auf etablierte republikanische Figuren wie Rudy Giuliani, Newt Gingrich und Chris Christie. Diese etablierten Politiker haben dem Brexit oder im zweiten Fall Donald Trump letztendlich ihren Segen gegeben und gesagt: Farage und Trump sind schon ein wenig exzentrisch, aber letztlich sind ihre Positionen doch salonfähig.

Es ist also ein Fehler, sich wie ein Laserstrahl auf die Demagogen und Populisten zu fokussieren. Denn dadurch sehen wir gar nicht, wie die anderen - die Mainstreamakteure - sich gegenüber den Populisten verhalten. Und was uns ebenfalls entgeht: Eine mögliche Verwandlung von vermeintlichen Mainstreamparteien, von etablierten Parteien in populistische Parteien. Viktor Orbáns Fidesz war nicht schon immer populistisch, sondern war früher eine zwar stramm konservative, nationalistische, aber doch noch irgendwie plausibel christdemokratische Partei. Heute ist Fidesz eine populistische Partei, welche die extremistische Jobbik-Partei teilweise rechts überholt. Wenn sie Theresa May zuhören, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie die konservative Partei systematisch zu einer Art UKIP-light umzuwandeln versucht. Das sehen wir aber nicht, wenn wir immer nur auf die vermeintlichen Ränder gucken. Ich finde auch, dass es ein Fehler ist, in Frankreich immer nur auf Marine Le Pen zu blicken. Da entgeht einem die Tatsache, dass die anderen Akteure wichtige Entscheidungen darüber treffen, wie sie sich ihr gegenüber positionieren. Im Moment dreht sich der gesamte politische Diskurs in Frankreich nur mehr um Le Pen; alle reden über sie oder gar für sie. Das ist eine Dynamik, die mir Sorgen macht. Nicht, dass sie allzu große Chancen hätte, Präsidentin zu werden. Was aber passieren könnte, ist, dass sich die anderen Parteien wandeln, sich ein ganzes Parteienspektrum und eine ganze politische Kultur verschiebt und in Richtung Front National gezogen wird.

Welche Fehler gibt es im Umgang mit den Populisten?

Es stimmt schlicht nicht, wenn behauptet wird, den Populisten, den großen Vereinfachern, denen glauben wir kein Wort. Denn wir sind immer ganz schnell bereit, denen ihre eigene Erzählung darüber, warum sie Erfolg haben, als Wahrheit abzukaufen. Wenn Donald Trump gewinnt, dann sagen wir: Das hat die amerikanische Gesellschaft nun als rassistisch enthüllt. Oder wenn die Populisten behaupten, ihr Aufstieg sei eine direkte Folge der Globalisierung, dann sagen wir: Das wird schon stimmen. Oder: Tja, jetzt haben wir endlich begriffen, dass ein großer Teil der Arbeiterklasse eben ausländerfeindlich geworden ist! Solche plumpen Vereinfachungen würden wir im Falle der Wählerschaft sozial- oder christdemokratischer Parteien nie wagen. Wir würden vielmehr akzeptieren, dass diese Parteien aus heterogenen Koalitionen von verschiedenen Leuten mit verschiedenen Anliegen gebildet werden. Natürlich mag es auch den reinen Protestwähler geben, der den maximalen Tabubruch sucht oder dem sogenannten Establishment maximal eins auswischen will. Aber es ist völlig absurd zu sagen, dass alle Trump-Wähler so wären. Wichtiger ist vielmehr: 90 Prozent der Bürger in den USA, die sich selbst als Republikaner identifizieren, haben Trump gewählt. Wäre Trump aber nicht Republikaner gewesen - zumindest nominell -, hätte Trump nicht den Segen von anderen Spitzen-Figuren der Republikanischen Partei bekommen, dann wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass viele Leute sagen: Trump ist für mich nicht akzeptabel. Man sollte also nicht den Fehler machen, Politik aufgrund von höchst dubiosen Vereinfachungen zu erklären. Was aber nicht heißen soll, dass man sich defätistisch verhalten soll und sagt: Kein Mensch kann erklären, was da los ist. Oder: Da kann man halt nichts machen.

Erstens: Es ist in der Tat kein Zufall, dass Populisten die heutigen Debatten ziemlich dominieren. Das hat damit zu tun, dass es einen Grundkonflikt zwischen einem Wunsch nach mehr Öffnung - kultureller und wirtschaftlicher Globalisierung, Öffnung gegenüber religiösen ethnischen und sexuellen Minderheiten - gibt und Leuten, die eben mehr Abschottung wollen. Das ist ein Konflikt, der genauso real ist, wie der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit oder zwischen Stadt und Land, oder der zwischen Kirche und säkularem Staat. Bei diesem Konflikt können Populisten sagen: Das ist unser Thema. Denn wir, die Rechtspopulisten, reden ständig über Identitätspolitik. Wir, die Rechtspopulisten, wissen, wer dazugehört und wer nicht.

Zweitens: Der unterschiedliche Erfolg vom Populisten in unterschiedlichen Ländern lässt sich mit spezifischen nationalen Faktoren erklären. Wenn es in einem Land schon einen Kulturkampf gibt, dann wird es für die Populisten einfacher, diesen bestehenden Kulturkampf zu instrumentalisieren. Wenn es etwa für viele Leute plausibel erscheint, dass es in einem bestimmten Land selbstreproduzierende Eliten gibt, haben die Rechtspopulisten ein griffiges Thema. Zum Beispiel in Frankreich. In Deutschland ist das nicht so, was vielleicht auch erklärbar macht, warum es in Deutschland lange keine erfolgreichen Populisten gab.

Derzeit sind Vergleiche zu den 1930er Jahren en vogue. Beunruhigen Sie diese geschichtlichen Analogien?

Wir beschäftigen uns sehr viel mit Geschichte, aber häufig leider auf ahistorische Weise. So nach dem Motto: Aha, da gibt es also diese fünf Lehren, die wir daraus ziehen können. Wir fragen uns weniger häufig: Wie sah denn das Geschehen eigentlich aus Sicht der Akteure damals aus? Aufgrund welcher Erfahrungen konnten autoritäre System der Demokratie als offensichtlich überlegen erscheinen? Solche Fragen sind wichtiger als die Suche nach mal eben einer historischen Analogie.

Erinnert Sie also Donald Trump nicht an Benito Mussolini?

Dieser Vergleich erklärt doch rein gar nichts! Natürlich, das erhöht die Raumtemperatur so ein bisschen, man stellt unter Beweis, wie alarmiert man ist. Aber wir verkennen dadurch das Spezifische an unserer heutigen Situation. Denn heute haben wir keine Polarisierung zwischen Kommunisten und Faschisten, keinen globalen ideologischen Konflikt wie im 20. Jahrhundert. Damit will ich aber gleichzeitig nicht sagen, dass überhaupt kein Grund zur Sorge besteht. Denn die Demokratie steht unter Druck. Was ich tatsächlich fürchte: Dass es eine langfristige Erosion der Demokratie geben könnte. Dass man eines Tages nicht mehr bereit ist, gegen Regimes wie in der Türkei oder in Ungarn wirklich etwas zu unternehmen, weil man sagt, naja, das ist immer noch so halbwegs akzeptabel, nach dem Motto "Das sind illiberale Demokratien, aber es sind immerhin noch Demokratien." Ich habe Angst, dass sich auf diese Weise die akzeptablen Normen für Demokratie so langsam verschieben.

Wie sollte man eigentlich auf Donald Trump reagieren?

Das Best-Case- Szenario für Donald Trump ist, dass er so sein wird wie Silvio Berlusconi. Das ist alles andere als angenehm, weil das Land Jahre verlieren wird. Für Teile der Bevölkerung könnte es sehr unangenehm werden; wie schon nach dem Brexit kommt eine Botschaft von ganz oben: Man kann seinen Vorurteilen und Abneigungen gegenüber Minderheiten mal so richtig freien Lauf lassen. Aber dass die USA von einer Art Weißen Identitären Bewegung übernommen werden könnten, das glaube ich nicht. Was viel wahrscheinlicher ist: Gerade weil alle jetzt auf diese Rechtsextremisten schauen, setzen die erz-republikanischen Lobbys alles durch, wovon sie jahrelang geträumt haben. Und was sehr wohl zu befürchten ist: Dass Trump immer wieder hetzt, um seine Leute bei der Stange zu halten. Daher: keine Entwarnung, keine Normalisierung.

Wird es Widerstand gegen Trump geben?

Das sagen jetzt zwar viele, dass sie Widerstand leisten oder sich illoyal gegenüber dem Präsidenten verhalten wollen, aber ich denke, die ganz große Mehrheit der Leute - nicht zuletzt Intellektuelle -- ist viel eher bereit, zu normalisieren, mitzumachen und sich eine Erzählung zurechtzulegen, in der das Mitmachen gerechtfertigt wird, weil man damit ja viel Schlimmeres verhindern kann.

Wodurch erklären Sie das immer unterschiedlicher werdende Wahlverhalten in den Städten verglichen mit dem auf dem Land?

Gerade in den USA hat das mit strukturellen Gegebenheiten zu tun. Ich lebe in den USA in einer idyllischen Kleinstadt, einer sehr reichen Kleinstadt übrigens, aber Trenton, die Hauptstadt von New Jersey, ist eine Katastrophe. Dass diese beiden Orte so unterschiedlich sind, hat etwas mit Planungsregeln und dem öffentlichen Verkehrssystem zu tun. Man versteift sich in den Erklärungen, warum Lebenswelten in Städten und auf dem Land so unterschiedlich sind, zu sehr auf kulturelle Fragen. Vielmehr müsste man aber die Gründe hinterfragen, warum sich diese Lebenswelten völlig entkoppeln. Und diese Gründe sind politisch und ökonomisch erklärbar - und die Verhältnisse wären auch änderbar.

Zur Person

Jan-Werner Müller,

geboren 1970 in Bad Honnef (Deutschland) ist Politikwissenschafter. Zuletzt lehrte er an der renommierten Princeton-Universität in den USA, zur Zeit ist er Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen. Das Interview entstand beim Medienforum in Lech. Am 12. Dezember spricht er am Kreisky-Forum über Christdemokratie.