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Von Zwergen, Gold und Heimatliebe

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Österreichs Bundespräsident hält ein Plädoyer für Europa. EU-Parlament und Kommission wollen Länder in die Pflicht nehmen.


Straßburg/Brüssel. Märchen und poetische Verse - auch sie finden im EU-Parlament Platz. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen bediente sich ihrer, um vor den Abgeordneten ein Plädoyer für Europa zu halten. Am Vortag war er in Brüssel zu Besuch, und gestern, Dienstag, trat er im Plenum der Volksvertretung in Straßburg auf. An beiden Orten ist in den EU-Institutionen sein Wahlsieg im Dezember des Vorjahres mit Erleichterung aufgenommen worden: als ein Signal gegen EU-Skepsis und Rechtspopulismus.

So wollte Van der Bellen auch mit seiner Rede im Abgeordnetenhaus "allen pro-europäischen Kräften Mut machen". Es sei nämlich möglich, "mit einem glasklaren Bekenntnis zu Europa Wahlen zu gewinnen", erklärte er. Die anwesenden Mandatare kommentierten dies mit Applaus - allerdings befanden sich unter ihnen weder Marine Le Pen vom Front National, die gerade im französischen Wahlkampf den Einzelstaat beschwört, noch der britische EU-Gegner Nigel Farage.

Nur gemeinsam stark

Die Tendenzen, die Union zugunsten der Länder zu schwächen, sind Van der Bellen sehr wohl bewusst. Daher wandte er sich gegen "die Verzwergung", die der "einfachen Wahrheit" von der gemeinsamen Stärke zuwiderläuft. "Wir müssen den Rückfall in die Kleinstaaterei verhindern", sagte der Bundespräsident. Und dann kam das Märchen von Hans im Glück ins Spiel, der einen Klumpen Gold in mehreren Schritten gegen einen Stein getauscht hatte, weil ihm seine Handelspartner das als vorteilhaft verkauft haben. "Lassen wir uns nicht einreden, dass es ein gutes Geschäft sei, unsere gemeinsame Stärke gegen die vermeintliche Macht des Einzelstaates einzutauschen", warnte Van der Bellen.

Außerdem schließe Patriotismus die Zuwendung zur EU nicht aus. "Wir können unser Heimatland lieben und die europäische Idee", betonte der Österreicher, dessen Familie aus Estland und den Niederlanden stammt: "Europa ist für mich ein Kontinent des ,Und‘, nicht des ,Entweder-oder‘." Mit der Abgrenzung gegenüber allem Fremden, mit der Einschränkung von Grundrechten und mit neuen Mauern seien Probleme nicht zu bewältigen. Hingegen sei es "alle Mühe wert", sich einzusetzen für ein starkes Europa, wo rechtsstaatliche Prinzipien verankert und Grundwerte nicht verhandelbar seien, wo "zwischen Fakten und alternativen Fakten" unterschieden werde. Diese Idee, schloss Van der Bellen, eine Gedichtzeile adaptierend, liebe er zu sehr, um sich vor der nächsten EU-Krise zu fürchten.

Der Gemeinschaft mehr Krisenfestigkeit zu verleihen, ist denn auch das Ziel der meisten Fraktionen im EU-Parlament. Gleich drei Entschließungen zu institutionellen Reformen brachten die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten und die Liberalen ein. Bis jetzt liefere die EU nämlich in außergewöhnlichen Situationen "zu wenig und zu spät", befand der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt. Daher müsse die Gesetzgebung straffer und transparenter, die EU-Kommission verkleinert werden. Ein Staatsrat sollte entstehen, ein Gremium, in das sowohl die Länder als auch die EU-Volksvertretung eingebunden sind.

Schon jetzt könnte die Beschlussfassung schneller erfolgen, fügte Elmar Brok von der EVP hinzu. Denn der Vertrag von Lissabon gebe mehr Möglichkeiten zu Mehrheitsentscheidungen als genutzt werden. Stattdessen aber ziehen es Minister vor, auf Einstimmigkeit zu beharren und heikle Themen zu den Staats- und Regierungschefs zu schieben.

Neue Abstimmungsregeln

Die Verlagerung der Verantwortung ist auch der EU-Kommission ein Ärgernis. Der Behörde geht es allerdings in erster Linie um das Verfahren der Komitologie, das die sogenannte ordentliche Gesetzgebung unter Einbindung aller EU-Institutionen ergänzt. Dabei erteilen Rat und Abgeordnetenhaus der Kommission legislative Befugnisse, um technische Details der Gesetzesentwürfe zu fixieren. In Expertenausschüssen aus Beamten der Brüsseler Behörde und der jeweiligen nationalen Ministerien werden die Feinheiten ausgearbeitet. Wenn es aber keine Einigkeit gibt - wie bei der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat oder von genmanipulierten Maissorten -, muss wieder die Kommission entscheiden. Diese kann dann von den Regierungen für das Ergebnis beschuldigt werden.

Nun will Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Mitgliedstaaten dazu bringen, ihre Verantwortung zu übernehmen. Daher schlägt seine Behörde neue Regeln im Komitologie-Verfahren vor, die in Straßburg präsentiert wurden. Zum einen soll die Arbeit in den Expertenausschüssen transparenter werden, indem das Stimmverhalten der Ländervertreter öffentlich gemacht wird. Zum anderen sollen die Abstimmungsregeln geändert werden: Enthaltungen sollen bei der Zählung nicht berücksichtigt werden, was die Staaten dazu bewegen soll, Stellung zu beziehen. Wenn die Beamten sich aber nicht einigen können, möchte die Kommission den Entwurf wieder an die Minister verweisen. So wären wieder die Politiker an der Reihe.