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Song Contest im politischen Kreuzfeuer

Von Thomas Seifert aus Kiew

Politik

Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Ukraine: Der Song Contest in Kiew.


Kiew. Als die ukrainische Sängerin Jamala beim Eurovision Song Contest 2016 antrat, war das eine politisch heikle Sache. In ihrem Song "1944" sang sie über die Deportation der Krim-Tartaren während des Zweiten Weltkriegs. Der politische Inhalt des Songtexts ging über Anspielungen hinaus, Russland war einigermaßen verstimmt. Politische Songtexte sind beim Song Contest eigentlich tabu, Jamala hätte es nie ins Finale schaffen dürfen, so die Argumente Moskaus. Aber Jamala schaffte es nicht nur ins Finale, sie gewann sogar. "Ich möchte Frieden und Liebe für alle - tausend Dank Europa, das ist für die Ukraine." Mit diesen Worten nahm Jamala, die in der Ukraine als Superstar gilt, 2016 den ersten Preis entgegen.

Wie es beim Song Contest Brauch ist, wandert die Austragung in diesem Jahr ins Land der Gewinnerin - und so geht das Song-Spektakel am Samstag in Kiew über die Bühne, die Vorausscheidungen laufen ab heute, Dienstag.

Am 12. März gab Russland bekannt, dass Julia Samoilowa mit ihrem Song "Die Flamme" beim Wettsingen in der Ukraine an den Start gehen wird. Samoilowa, die seit ihrer Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ist die perfekte Kandidatin für den Song Contest in Kiew, der unter dem Motto "Celebrate Diversity - die Vielfalt feiern" stattfindet: Eine starke Frau, die trotz ihres Handicaps ihren Weg gemacht hat - das freundliche Gesicht Russlands. Eine Kandidatin wie Samoilowa, die schon seit vielen Jahren davon träumt, beim Song Contest auf der Bühne zu stehen, hat zweifellos das Zeug zur Gewinnerin.

Aber kurz nach der Veröffentlichung von Samoilowas Song-Contest-Kandidatur wird bekannt, dass sie sich 2015 auf der Krim aufgehalten hatte.

Und da die Ukraine die Krim trotz der russischen Annexion weiterhin als ukrainischen Boden betrachtet, ist es nach ukrainischer Rechtslage illegal, anders als über ukrainisches Territorium auf die Krim zu reisen. Eine Einreise von Russland gilt für Kiew als illegal und ist mit dreijährigem Einreiseverbot verbunden, das am 22. März 2017 über Samoilowa verhängt wurde. Das Außenministerium in Moskau bezeichnete die ukrainische Entscheidung als "zynisch und unmenschlich", die European Broadcasting Union EBU, die für die Austragung des Gesangswettbewerbs verantwortlich zeichnet, versuchte zu vermitteln, als Kompromiss stand die Zuschaltung aus Moskau im Raum. Am 13. April ließ Russland aber verlauten, dass das Land die Teilnahme von Julia Samoilowa wegen des Einreiseverbotes zurückzieht.

Volodymyr Ostapchuk ist einer der drei Moderatoren, die am Samstag vor über 180 Millionen Zuschauern das TV-Event des Jahres moderieren werden. Gegenüber der "Wiener Zeitung" sagt er: "Wir haben vorgeschlagen, jemand anderen zu schicken, wir haben verschiedene Kompromissangebote gemacht. Leider hat Russland all diese Vorschläge zurückgewiesen. Jetzt haben wir leider nur Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 42 Staaten und nicht aus 43 wie erhofft." Oleksandr Skichko, der zweite Moderator meint, er hätte sich gewünscht, dass Julia Samoilowa zumindest per Live-Schaltung dabei gewesen wäre. Und für Volodymyr Ostapchuk - den Dritten im Bunde - geht es darum, den Song Contest als Plattform für die Ukraine zu nutzen und zu zeigen, "dass wir trotz der Probleme singen und lächeln und dass wir uns mit Europa verbunden fühlen."

Unter dem Regenbogen

Diese Verbundenheit zum bunten, lärmenden, liberalen Europa hat man in Kiew in den vergangenen Tagen auch durch die Umdeutung eines Sowjet-Denkmals, des "Bogens der Völkerfreundschaft", bekräftigt. Das 50 Meter lange Monument wurde in den 1980er Jahren im Stadtzentrum als Symbol der russisch-ukrainischen Freundschaft errichtet - einer Freundschaft, mit der es derzeit nicht allzuweit her ist. Während des European Song Contests (ESC), der vom 7. bis zum 13. Mai in Kiew stattfindet, soll das Bauwerk - das schon immer einen Regenbogen symbolisiert hat - unter dem Namen "Bogen der Vielfalt" bunt erstrahlen. Konservativ-nationalistische Kreise attackierten die Pläne, weil sie im Regenbogen ein Symbol der Schwulen-/Lesben- und Transgender-Aktivisten sahen, die Bronzeskulptur unter dem Bogen, die einen ukrainischen und einen russischen Arbeiter zeigt, die gemeinsam einen Orden hochhalten, sehe nun aus, wie ein "Schwulenpächen", ätzten die Gegner.

Auch die Entscheidung, Julia Samoilowa die Einreise nach Kiew zu verweigern, wird nicht von allen Seiten gutgeheißen. Sogar die stellvertretende Informationsministerin Emine Dzhaparova hat bei einem Gespräch mit Journalisten aus der EU ihre Zweifel. "Wäre es besser, Samoilowa wäre aufgetreten? Selbstverständlich. Genauso gilt aber auch: Es wäre besser gewesen, Julia Samoilowa hätte ukranisches Recht respektiert."

In Informationsministeriumskreisen heißt es, dass die Ukraine dieses Match so und so nicht gewinnen hätte können: Das Akzeptieren der Einreise Samoilowas wäre von Russland als Schwäche der Ukraine gesehen worden. Das Einreiseverbot werde nun von russischer Seite als Diskriminierung einer im Rollstuhl sitzenden Sängerin ausgeschlachtet. "Wir können mit Russlands Propagandamaschinerie nur schwer mithalten. Russland koordiniert seine Propagandabotschaften, in einer Gesellschaft wie der ukrainischen gibt es aber stets Diskussionen. Wir sprechen nicht nur mit einer Stimme", sagt Vizeinformationsministerin Dzhaparova.

Im Konferenzzentrum in Kiew, rund 20 Autominuten östlich vom Stadtzentrum ist alles bereit für die große Show: Produzent Christer Björkman sagt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Ich fühle mit jedem Künstler mit, der nicht teilnehmen kann. Aber so etwas ist auch schon in der Vergangenheit passiert und wird wohl auch in Zukunft wieder passieren. Woran ich glaube: Der Song Contest sollte eine Plattform sein, wo wir uns alle treffen können - trotz politischer Differenzen."