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Ein Milliardär mischt Tschechiens Politik auf

Von Klaus Huhold aus Prag

Politik

Der Unternehmer Andrej Babis ist bei der tschechischen Parlamentswahl der große Favorit.


Prag/Jihlava. Andrej Babis ist ein rastloser Mensch. Schnell eilt er über den Hauptplatz der mährischen Kleinstadt Jihlava, beim Vorbeigehen grüßt er noch ein paar Passanten, dann steht er schon auf der Bühne und hält seine Wahlkampfrede. Der Vorsitzende und Gründer der Partei ANO (was auf Tschechisch so viel wie "ja" bedeutet) beschwört zunächst das Potenzial der Tschechen. "Wir waren einmal produktiver als die Deutschen und reicher als die Österreicher", sagt er - und spielt darauf an, dass die damalige Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit eines der wohlhabendsten Länder Europas war. Dann verspricht er viel: Die Steuern werde seine Partei senken, die Pensionen erhöhen und den Staat effizienter machen.

Plötzlich stürmen Aktivisten, die meisten in Schwarz gekleidet, vor die Bühne. "Ich wähle keinen Faschingskrapfen", steht auf ihren Schildern - eine Anspielung darauf, dass Babis bei seinen Wahlkampftouren gerne diese Süßspeise verteilt. "Oh Gott, ihr seid schon wieder da!", seufzt Babis. Die Aktivisten sprengen seine Rede, indem sie sich direkt vor der Bühne aufstellen und ihm Fragen entgegenbrüllen - etwa zu den Finanzen seines Konzerns Agrofert, oder zu den Korruptionsvorwürfen, die es gegen ihn gibt. Babis sagt ihnen, dass sie ihm ihre Fragen später bei einer Podiumsdiskussion stellen können, er jetzt aber gerne seine Rede forstsetzen wolle.

Doch seine Gegner lassen nicht locker, brüllen weiter. Das verärgert wiederum die Anhänger von Babis. "Haltet den Mund! Ihr seid hier nicht am Wort", ruft ein sichtlich erzürnter glatzköpfiger Mann. Und ein anderer ruft den Babis-Gegnern wütend zu, dass sie doch im Allerwertesten verschwinden mögen.

Der Politiker setzt seine Rede noch ein paar Minuten fort, doch immer wieder schreien die Aktivisten dazwischen. "Lassen wir das", sagt er schließlich und verlässt die Bühne. Die nächsten zwei Stunden werden ihn seine Gegner verfolgen und ihm ihre Fragen entgegenbrüllen - während er Fotos mit seinen Anhängern macht, sein eben erst erschienenes Buch "Wovon ich träume, wenn ich zufällig schlafe", das hier gratis verteilt wird, signiert oder sich mit Parteifreunden unterhält. Dabei kommt es immer wieder zu Wortwechseln zwischen Babis-Anhängern und -Gegnern.

Der gebürtige Slowake polarisiert Tschechien. Seine Fans sehen im zweitreichsten Mann des Landes, bei dem mehr als 30.000 Bürger in Lohn und Brot stehen, den erfolgreichen Unternehmer, der den Staat ebenso effektiv führen kann. Seine Gegner sehen durch den Geschäftsmann, den Finanzaffären belasten, den Rechtsstaat gefährdet. Jedenfalls prognostizieren die Umfragen vor der Parlamentswahl, die am Freitag und Samstag stattfinden, Babis einen klaren Sieg. Rund 25 Prozent der Stimmen werden ihm vorausgesagt, damit liegt ANO etwa zwölf Prozentpunkte vor den zweitplatzierten Sozialdemokraten. Wie konnte es so weit kommen, dass ein Milliardär zum beliebtesten Politiker des Landes wurde? Und was erzählt das über das Nachbarland?

Der Aufstieg

"5+2". Mit dieser Zahlenkombination ist der Aufstieg von Babis untrennbar verbunden. "5+2" ist eine Gratiswochenzeitung, die vor allem in ländlichen Regionen verteilt wird. 2012 hat Babis das Blatt gekauft. Bara Prochazkova, die als Journalistin beim tschechischen Fernsehen arbeitet, besitzt noch eine große Sammlung aus den Jahren 2012 und 2013. Babis in einer Brauerei, Babis beim Treffen mit örtlichen Unternehmern. "Fast in jeder Ausgabe findet sich ein Text über Babis, ohne jegliche Anmerkung, dass ihm das Blatt gehört", berichtete sie kürzlich bei einer Podiumsdiskussion in Wien. So stieg sein Bekanntheitsgrad. Babis erwarb weitere Medientitel - etwa mit Radio Impuls den meistgehörten Sender des Landes oder die zwei einflussreichen überregionalen Zeitungen "Mlada Fronta" und "Lidove Noviny".

Robert Casensky war Chefredakteur von "Mlada Fronta", als der Babis-Konzern Agrofert das Blatt im Sommer 2013 aufkaufte. Sofort reichte er seinen Abschied ein. "Die journalistische Unabhängigkeit war allein durch die Besitzverhältnisse nicht mehr gegeben", sagt er bei einem Gespräch in Prag in den Redaktionsräumen des Magazins "Reporter", das er selbst neu gegründet hat und das unabhängig ist.

Wie weit Babis auf die beiden Qualitätszeitungen "Mlada Fronta" und "Lidove Noviny" Einfluss nahm und nimmt, ist unklar. Kürzlich sind dubiose Tonbandaufzeichnungen aufgetaucht, auf denen zu hören ist, wie Babis mit einem Reporter von "Mlada Fronta" Kampagnen gegen andere Politiker bespricht. Wie weit Babis hier vielleicht selbst in eine Falle ging, ist unklar. Er selbst spricht davon, dass die Bänder manipuliert wurden. Für viele Tschechen waren sie aber ein Beweis dafür, dass der 63-Jährige die Berichterstattung immer wieder manipuliert.

Dass sich Babis diese wichtigen Medien-Titel angeeignet hat, "war ein wichtiger Schritt in seiner politischen Karriere", sagt Casensky. Vorher lag seine Partei bei zwei Prozent, danach ging es rasant nach oben. "Seine politischen Gegner begannen, auf ihn zu reagieren."

Es wäre aber zu einfach, den Aufstieg von Babis ausschließlich mit seiner Medienmacht zu erklären. Gefüttert mit seinem Geld, fuhr ANO 2013 vor der damaligen Parlamentswahl eine geschickte und professionelle Kampagne. "Babis profitierte dabei von der Enttäuschung der Bürger über die großen Parteien", berichtet Casensky.

Denn er trat genau zum richtigen Zeitpunkt auf die politische Bühne. Der damalige Premier Petr Necas von der neoliberalen ODS war in der Bevölkerung vollkommen diskreditiert. Medien sagten ihm eine Liebesaffäre mit seiner Büroleiterin Jana Nagyova nach, die wiederum die Ehefrau von Necas bespitzeln ließ und die Bestechung von Abgeordneten organisiert haben soll. Es war nicht der erste Skandal der ODS, und auch die Sozialdemokraten (CSSD) als zweite Großpartei wurden immer wieder mit dubiosen Geschäften in Verbindung gebracht.

Babis präsentierte sich als Saubermann: Er würde zum Wohle des Landes arbeiten, während die Berufspolitiker, diese Gauner, nur sinnlos reden und in die eigenen Taschen arbeiten würden. Dass Babis nicht mehr stehlen müsse, weil er schon reich genug sei, hört man bis heute von seinen Anhängern.

ANO erhielt bei der Wahl 2013 rund 18 Prozent der Stimmen, trat in eine Koalition mit der CSSD und den Christdemokraten ein. Babis wurde Finanzminister. Obwohl Teil der Regierung, schaffte es Babis weiter, sich als Anti-Politiker zu inszenieren. Immer wieder kritisierte er Kabinettskollegen anderer Parteien, dass sie zu lange lavieren, während er, der Macher, der Geschäftsmann, schon längst zur Tat geschritten wäre. Auch dass die tschechische Wirtschaft in den vergangenen Jahren bis zu vier Prozent gewachsen ist, schreibt der 63-Jährige vor allem sich selbst zu. Nun, vier Jahre später, könnte ANO stärkste Kraft im Land werden.

Die Partei

Vlastimil Forst ist ein freundlicher, höflicher Mann, der gerne über Politik diskutiert. Der Elektroingenieur ist Parteimitglied von ANO und hat sich in Jihlava soeben eine Podiumsdiskussion mit Babis angehört. Dass ANO vorgeworfen wird, eine korrupte, undemokratische Vereinigung zu sein, kann er nicht verstehen. "Bei uns stehen die Türen für alle offen", sagt er. "Wir sind Idealisten, die Veränderung wollen."

Auf Wahlkampfveranstaltungen von ANO begegnet man immer wieder Leuten, die für die Partei brennen und denen man schwerlich vorwerfen kann, dass es ihnen um einen persönlichen Vorteil ginge. Der Bewegung ist es gelungen, viele Leute einzubinden. Es ist hier offenbar eine Dynamik entstanden, die vom Glauben getragen wird, dass es möglich ist, Tschechien voranzutreiben, und niemand besser dafür geeignet ist als ein erfolgreicher Konzernchef. Babis ist dabei ein Vorsitzender zum Anfassen: Geduldig, freundlich und immer wieder scherzend spricht er an diesem Nachmittag in Jihlava mit den Helfern, die sich für die Partei die Füße wund laufen und Folder verteilen - und diejenigen sind, die dem Wahlkampf viel Schwung verleihen.

Babis kann aber auch ganz anders. Legendär sind seine Wutausbrüche, und wen er in der Partei nicht mehr haben will, der hat keine Chance. Tschechische Journalisten berichten davon, dass es zwar innerhalb von ANO rege Diskussionen gibt. Diese sind aber beendet, sobald Babis den Raum betritt oder eine SMS ausschickt. "Babis gehört der Name der Partei, die Internetdomäne, und er ist der größte Gläubiger der Partei", sagt Casensky. "Er besitzt die Partei." Und seiner Meinung nach ist deren hauptsächlicher Daseinsgrund, dass Babis mehr Macht erhält.

Die Person Babis

"Wovon ich träume, wenn ich zufällig schlafe". Der Titel des Buches spricht Bände - über das Selbstverständnis von Babis und seine Inszenierungen. Wenn der rastlose Milliardär (dass Babis tatsächlich viel arbeitet, räumen selbst seine Gegner ein) endlich einmal zum Schlafen kommt, hat er Visionen - "eine Vision für unsere Kinder" heißt es auch im Untertitel. Babis mangelt es nicht an Selbstsicherheit. Damit sei er anderen Superreichen in seinem Land nicht unähnlich, sagt Casensky, der im Laufe seiner beruflichen Karriere schon einigen von ihnen begegnet ist. "Sie glauben, es besser zu wissen als andere. Als Beweis dafür dient ihnen ihr Erfolg."

Zudem ist Babis ein geschickter Rhetoriker. Pavel Splichal hat ihn oft gehört. Der 33-Jährige ist mittlerweile Redakteur bei dem linken Onlineportal "a2alarm.cz". Während der Kampagne 2013 arbeitete er aber einige Monate für ANO und war etwa dafür zuständig, aus den Auftritten von Babis einzelne Sätze herauszufiltern, die sich für dessen Internetauftritt verwerten ließen. Bei den Reden "handelte es sich um klassischen Populismus", berichtet Splichal. "Allerdings mit einigen Babis-Besonderheiten."

So sprach Babis nicht nach einem vorgefertigten Skript, sondern redete oft aus dem Bauch heraus. "Und wenn er Leute Versprechen machte, dann glaubten sie ihm diese, weil er so selbstbewusst auftrat."

Splichal fiel zudem auf, dass Babis seine Rhetorik der Situation anpasste - je nachdem, ob er bei Wahlveranstaltungen, zu Angestellten oder anderen Geschäftsleuten sprach. Unter Letzteren fühlte er sich offenbar zu Hause. "Er meinte dann, dass die Politiker so viel verpfuscht haben und sie, die Geschäftsleute, es nun richten müssten."

Babis sei kein Intellektueller und auch kein großer Ideologe, berichtet Splichal. Auch andere Beobachter beschreiben ihn als Opportunisten und Pragmatiker, der sich rasch der öffentlichen Meinung anpasst.

Das zeigt sich etwa bei seiner Haltung zur Europäischen Union: Er befürwortet die Mitgliedschaft, weil Tschechiens Wirtschaft daraus unübersehbar Vorteile zieht (auch seine eignen Firmen haben schon Subventionen erhalten). Gleichzeitig kommt er der EU-Skepsis seiner Landsleute entgegen, indem er sich gegen eine Euro-Mitgliedschaft und ganz vehement gegen die Flüchtlingsquoten ausspricht.

Eine feste Überzeugung scheint Babis aber zu haben: Dass erfolgreiche Geschäftsleute die Elite des Landes sind und es führen sollen. Nun könnte er selbst zum obersten Manager der Firma Tschechien werden.

Der Ausblick

Fraglich ist aber, ob er überhaupt Premier wird. Denn auch wenn ANO die Wahl gewinnt, machen es viele Parteien zur Koalitionsbedingung, dass Babis vorerst nicht Ministerpräsident wird - bis die Korruptionsvorwürfe geklärt sind, mit denen ausgerechnet der selbsternannte Saubermann konfrontiert ist.

Die Polizei ermittelt, ob das Wellness-Ressort "Storchennest", das auf Verwandte überschrieben wurde, zu Unrecht Subventionen in Höhe von etwa zwei Millionen Euro erhalten hat. Unangenehm für Babis ist auch, dass nun in der Slowakei erneut von den Gerichten geprüft wird, ob Babis während des Kommunismus für die Geheimpolizei tätig war.

Babis stellt die Vorwürfe als politische Hexenjagd dar. Bei seinen Anhängern scheint diese Rhetorik zu verfangen. Wie weit sie aber auch unentschlossene Wähler anspricht, wird entscheidend für den Ausgang des Urnengangs sein.

Wenn ANO tatsächlich gewinnt und den nächsten Premier stellt, dann wird Babis der starke Mann sein - unabhängig davon, ob er tatsächlich Regierungschef ist oder im Hintergrund die Fäden zieht. Ein Szenario, das beim Prager Politologen Jiri Pehe Bedenken auslöst. Die wütende Reaktion von Babis auf die Korruptionsuntersuchungen zeige, wie wenig Respekt er vor den staatlichen Institutionen habe.

Und überhaupt sei Babis wenig Widerspruch gewohnt. Bei seinen geschäftlichen Tätigkeiten und in seiner Partei sei er es gewohnt, dass sein Wort Gesetz ist. Immer wieder beschwerte er sich, dass im Parlament zu viel geredet wird. "Babis ist kein liberaler Demokrat", sagt Pehe. "Er bringt überhaupt keine Geduld für die demokratische Konsensfindung auf."

Und während am Hauptplatz von Jihlava die Pensionistin Blanka Rosporkova meint, dass Babis doch schon vielen Menschen Arbeit gegeben und durch seine Geschäfte bewiesen habe, wie viel er für das Land leisten könne, warnt auch der Journalist Casensky vor einer Premiers-Partei namens ANO. "Dass ein einzelner Bürger so viel geschäftliche, mediale und politische Macht in Händen hält, wäre in der jüngeren tschechischen Geschichte einmalig", sagt er. Es würde sich dabei um einen Mann handeln, "der schon bewiesen hat, dass er sich nicht sonderlich um Regeln kümmert".