Madrid/Barcelona. Es ist ein eigenartiges Gesamtbild. Der abgesetzte Regierungschef von Katalonien, Carles Puigdemont, befindet sich auf der Flucht vor der spanischen Justiz in Brüssel. Derweil reist der Präsident der EU-Kommission in Brüssel, Jean-Claude Juncker, nach Spanien.
Er erhielt am Donnerstag einen Ehrendoktortitel an der Universität Salamanca. In Anwesenheit des spanischen Premiers Mariano Rajoy geißelte Juncker in seiner Rede den Nationalismus als "Gift", das die Zusammenarbeit behindere. Bezugnehmend auf die katalanische Situation erklärte Juncker: "Sie haben nicht das Recht, ein Modell des Zusammenlebens zu zerstören. Wenn wir das machen, würden wir auseinanderdriften." Er, Juncker, lehne "jedwede Form des Separatismus ab, der die bereits bestehende Zersplitterung (in Europa, Anm.) noch vergrößere".
Juncker hatte immer wieder betont, er wolle keine EU, die aus "90 Ländern" besteht, und er will daher verhindern, dass sich Regionen verselbständigen.
Dass ausgerechnet Juncker, der ehemalige Präsident des gerade mal eine halbe Million Einwohner zählenden Landes Luxemburg von, der Wichtigkeit der Größe eines Landes redet, ist übrigens in Katalonien, einem Gebiet mit 7,5 Millionen Einwohnern, durchaus mit Wutschnauben zur Kenntnis genommen worden. Überhaupt fühlt man sich in Katalonien von der Passivität der EU enttäuscht.
Abgeordnete vor Gericht
Und so ist es ein weiterer Schlag ins Gesicht jener desillusionierten Katalanen, dass Juncker ausgerechnet an jenem Tag seine Ehrendoktorwürde antritt, an dem in der Hauptstadt Madrid die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, gemeinsam mit fünf weiteren Abgeordneten, vor Gericht steht. Forcadell und ihre Kollegen wurden diese Woche vor den Obersten Gerichtshof zitiert. Sie genießen als Abgeordnete der katalanischen Volksvertretung noch Immunität, während die abgesetzten katalanischen Regierungsmitglieder kein Amt mehr bekleiden und vergangene Woche vor den Staatsgerichtshof Audiencia Nacional zitiert wurden.
Von den neun damals erschienenen ehemaligen Regierungsmitgliedern sitzen seither acht in Untersuchungshaft. Nur einer, der ehemalige katalanische Wirtschaftsminister Santi Vila, wurde auf Kaution wieder freigelassen. Weil er kurz vor der Ausrufung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kataloniens zurückgetreten war. In seinem Fall sah das Gericht offenbar die Wiederholungs- sowie Fluchtgefahr offenbar nicht gegeben. Juristischen Beobachtern zufolge urteilte das Gericht auch deswegen so hart, weil sich eben fünf abgesetzte Regierungsmitglieder - unter anderem der ehemalige katalanische Präsident Puigdemont - nach Brüssel abgesetzt hatten, weil sie der spanischen Justiz eine Politisierung unterstellen und daher nicht auf ein faires Verfahren vertrauten.