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Italien droht wieder Regierungskrise

Von Anja Stegmaier

Politik

In weniger als sechs Wochen wählt Italien ein neues Parlament. Noch ist völlig unklar, wer regieren wird. Fest steht allerdings, was das Land wirtschaftlich bräuchte - die Parteien behandeln die heißen Eisen nicht im Wahlkampf.


Rom/Wien. Spanien benötigte 2016 mehr als zehn Monate, bis eine neue Regierung feststand, seit Ende September blicken alle Augen in der EU gebannt auf Deutschland, wann sich dort endgültig eine stabile und handlungsfähige Regierung bilden wird. Italien steht als neues Sorgenkind schon in den Startlöchern. Denn es ist bisher völlig unklar, wer nach dem 4. März die Verantwortung in Rom übernehmen wird.

Nicht nur die Gefahr einer anti-europäischen Koalitionsregierung steht im Raum - die Umfragewerte der Parteien stehen derzeit so, dass sich alle drei Lager blockieren. Regierungskrise, Zersplitterung, Minderheitsregierung oder Neuwahlen sind damit in Aussicht.

Anführer in den Umfragen ist derzeit die Mitte-rechts-Koalition aus Silvio Berlusconis Forza Italia, der rechtspopulistischen Lega Nord und den nationalkonservativen Fratelli d’Italia mit rund 35 Prozent. Auch wenn das Aushängeschild Berlusconi selbst aufgrund diverser Vorstrafen bis 2019 selbst nicht antreten darf, so prangt der 81-Jährige doch auf zahlreichen Wahlplakaten. Für seine Wahllisten setzt er auf prominente Namen aus Kultur, Journalismus und Sport.

Mit 27 Prozent auf Platz zwei kommt die populistische Anti-EU-Partei Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung). Deren Gründer, der Komiker Beppe Grillo, darf wegen einer Vorstrafe ebenfalls nicht kandidieren. Ob der 31-jährige Spitzenkandidat Luca Di Maio die Umfragewerte halten kann, nachdem am Mittwoch Grillo verkündet hatte, sich aus der Bewegung zurückzuziehen, bleibt abzuwarten.

Denn ziemlich gleichauf kommt das Mitte-links-Bündnis, das die aktuelle Regierung unter Paolo Gentiloni stellt - aber mit Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi den Wahlkampf bestreitet.

Linke wie Rechte lehnen eine Koalition miteinander sowie mit den Fünf Sternen ab. Mit dieser Blockbildung ist eine Mehrheitsfindung im Parlament unmöglich. Bliebe es dabei, gäbe es im März in Italien ein ziemliches Chaos. Dabei braucht Italien nichts dringender als eine stabile Regierung, die ernsthaft ökonomische Reformen angeht und selbstbewusst ihre Interessen in der EU vertritt.

"Viele Italiener denken, der Euro ist das Problem, nicht Italien", sagt Emanuele Felice, Ökonom an der Universität Chieti-Pescara, zur "Wiener Zeitung". Der Euro werde von den Italienern aber als Vorwand genommen, um Reformen nicht umsetzen zu müssen. Denn seit der Euro eingeführt wurde, ist Italien das Land, das in der Eurozone am wenigsten gewachsen ist. "Wenn der Euro aber das Problem ist, warum haben dann andere Länder der Eurozone nicht das Problem?", fragt Felice rhetorisch.

Das Wirtschaftswachstum Italiens unter der Lira in den 1970ern und 80ern gründete auf Inflation, Staatsschulden und Abwertung der Währung. Mit dem Euro ist das schlicht nicht mehr möglich. "Italien sollte sein Wachstumsmodell aktualisieren. Für langfristiges Wachstum braucht es eine effizientere öffentliche Verwaltung, es muss mehr und besser investiert werden in Bildung und Innovation - und es braucht strukturelle Reformen."

Genau dieses heiße Eisen packt aber kein Politiker, keine Partei in Italien an. Seit Matteo Renzi mit seinem Verfassungsreferendum vor rund einem Jahr scheiterte, sei es nun unmöglich, über eine strukturelle Reform zu sprechen. Eine institutionelle Reform, die Teil der strukturellen Reform wäre, sei nun völlig blockiert, so Felice.

Versprechen für die Klientel

Die Wirtschaft spielt in den Programmen der italienischen Parteien quasi keine Rolle. "Da es nach der Wahl keinen eindeutigen Gewinner geben wird, machen jetzt viele Versprechungen, deren Nichteinhalten sie später dem Koalitionspartner in die Schuhe schieben können", sagt Felice.

Das grundsätzliche wirtschaftliche Versprechen der Fünf Sterne ist ein Grundeinkommen, was vor allem die Süditaliener anspricht. Der Mitte-rechts-Block macht Versprechungen, die vielen im Norden gefallen, wie etwa eines einheitlichen Einkommenssteuersatzes und eine Rücknahme von Renzis Pensionsreform. Beide Positionen können mit der einerschen Staatsverschuldung von 133 Prozent des Bruttoinlandproduktes nicht umgesetzt werden und lösen das strukturelle Problem der Volkswirtschaft nicht, sagt der Ökonom. "Renzis demokratische Partei sticht nicht heraus, sie positioniert sich zwischen Populismus und reformistischen Ansätzen, rennt Mitte-rechts hinterher und macht etwas seriösere Vorschläge zu Themen, die die Konkurrenz setzt", sagt Felice.

Renzi ist kein Macron

Das Ass im Ärmel von Mitte-links wäre die Europa-Karte - die spiele sie jedoch nicht aus. "Renzi sollte des machen wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Wir wollen in der EU tonangebend sein, also müssen wir unser Engagement glaubhaft machen. Dafür müssen wir unsere Staatsschulden in Ordnung bringen und Reformen durchsetzen."

Von Europa ist im Wahlkampf des Mitte-links-Blocks keine Rede. Die Umfragewerte gehen runter - den Wählern ist nicht klar, wofür Renzi steht. Implizit kommt an, wer Mitte-links wählt, bekommt ein "weiter so". Trotz fehlender Reformen, Bankenkrise und überteuerten Staatsapparat konnte Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan eine akute Finanzkrise abwenden. Ihm kam die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank bei der Schuldentilgung entgegen. Die Wirtschaft wächst erstmals seit zehn Jahren sachte und die Beschäftigungsrate steigt (wenn auch überwiegend aufgrund von Teilzeitjobs). Gentiloni, der als vierter Premier ohne Regierungsauftrag der Wähler Italien seit Dezember 2016 regiert, mahnte kürzlich an, den Reformprozess fortzusetzen, den seine Regierung bereits angegangen sei.

Ex-Bunga-Bunga-Premier Berlusconi rühmt sich derweil, als letzter Regierungschef eine Mehrheit zusammengebracht zu haben, und präsentiert sich als erfahrener Staatsmann und europäischer Stabilitätsanker.