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Zittern vor dem Fahrverbots-Urteil

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Autobauer fürchten Milliardenkosten für Nachrüstung von Diesel-Pkw in Deutschland. Die Kontrolle der Fahrverbote ist unklar.


Leipzig/Wien. Über viele Jahre trug Angela Merkel den Spitznamen Autokanzlerin. Die deutsche Regierung unterstützte die Exporterfolge ihrer Vorzeigebranche nach Kräften, so trat sie auch gegenüber der EU-Kommission für weichere Kohlendioxid-Vorschriften auf. Mit dem Dieselskandal kühlte das Verhältnis zur Industrie zwar deutlich ab. Doch in einem Punkt sind sich Merkel, ihr potenzieller Koalitionspartner SPD und die Autoindustrie weiterhin einig: Fahrverbote für alte Diesel-Pkw soll es nicht geben.

Der 22. Februar könnte einen historischen Bruch markieren. Denn am Donnerstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, ob Behörden Fahrverbote verhängen dürfen, damit die Stickoxid-Werte in belasteten Zonen - maßgeblich verursacht durch Dieselautos - sinken. Konkret geht es um Stuttgart und Düsseldorf, zwei der am stärksten betroffenen deutschen Städte. Deren Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hoben Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auf, welche die Städte zu Fahrverboten verpflichtet hatten. Dagegen klagte die Deutsche Umwelthilfe.

Das Problem geht weit über Stuttgart und Düsseldorf hinaus. In 35 deutschen Städten wurde in den ersten sechs Wochen 2018 der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft überschritten. An der traurigen Spitze lag München mit 64 Mikrogramm, in Stuttgart, Hamburg und Kiel wurden mehr als 55 Mikrogramm gemessen.

Nachrüstung mit Steuergeld?

Um die Luftqualität zu verbessern, gibt es zwei Lösungen: Entweder kommen Fahrverbote - die Umwelthilfe strebt Klagen in gleich 62 Städten an. Oder die Autoindustrie rüstet die alten Dieselfahrzeuge um, und zwar weit über die bisherigen Softwareupdates hinaus. Nicht einmal jeder fünfte deutsche Diesel-Pkw entsprach Anfang 2017 der bestmöglichen Schadstoffklasse Euro-6. Vier von zehn sind Euro-5-Fahrzeuge. Würden diese nachgerüstet, könnten die Stickoxid-Emissionen jener Autos um bis zu 70 Prozent gesenkt werden, schätzt der ADAC Baden-Württembergs. Der Autofahrerklub bezeichnet die Nachrüstung als "unverzichtbar", um die Luft zu verbessern. Bloß kosten solche Abgasreinigungssysteme laut ADAC 1400 bis 3300 Euro pro Pkw.

Dagegen wehren sich BMW, Daimler und Volkswagen. Warum, zeigt eine Überschlagsrechnung: Nimmt man für die Nachrüstung einen Durchschnittswert von 2350 Euro pro Pkw an und multipliziert diesen mit den rund fünf Millionen Euro-5-Dieselautos in Deutschland, betragen die Kosten 11,75 Milliarden Euro. Offen ist zudem, was mit alten Pkw der Schadstoffklassen Euro-1 bis -4 passiert. Doch wer finanziert weitere Umtauschprämien, um diese Diesel von der Straße zu holen?

Noch heuer will die deutsche Bundesregierung über Nachrüstungen entscheiden. Deren Expertengremium meint in einem kürzlich bekannt gewordenen Berichtsentwurf, dafür sollten auch öffentliche Gelder fließen. Der Steuerzahler müsste somit für die Tricksereien der Industrie mit geradestehen. Der neue Verkehrsminister, gestellt von der CSU, hätte Erklärungsbedarf.

Das gilt auch für die Frage, wie Fahrverbote in der Praxis exekutiert werden könnten. Im Gespräch ist eine "Blaue Plakette" für schadstoffarme Benziner sowie Dieselfahrzeuge, die von Fahrverboten ausgenommen sind. Woher die unterbesetzte Polizei die Ressourcen zur Kontrolle aufbringen soll, weiß niemand.