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Wenn Merkel weg muss

Von Alexander Dworzak

Politik

Der Koalitionsstreit droht Deutschland und Europa schweren Schaden zuzufügen.


Berlin/Wien. Das Spiel auf Zeit ist Angela Merkels Paradedisziplin. So schrumpft die deutsche Kanzlerin den informellen EU-Gipfel zur Migration in die Union - unter anderem mit Österreich und den Mittelmeer-Staaten Italien, Griechenland und Spanien - zu einem "Beratungs- und Arbeitstreffen". Nicht einmal eine Abschlusserklärung wird es am Sonntag geben. Doch diesmal ist der Zeitgewinn überschaubar. Denn bereits ab kommendem Donnerstag tagen die EU-Staats- und Regierungschefs. Danach muss Merkel Abkommen mit anderen Unionsländern zur Rücknahme von Asylwerbern in der Tasche haben. Sonst eskaliert der Machtkampf mit ihrem Innenminister Horst Seehofer. Es droht das Ende der Fraktionsgemeinschaft zwischen Merkels CDU und Seehofers CSU ebenso wie das der Bundesregierung mit der SPD in Berlin. Und auch Merkels Zeit als Kanzlerin könnte nach 13 Jahren ablaufen.

Patt, ob Merkel gehen soll

"Merkel muss weg!", dem dröhnenden Ruf der AfD-Anhänger schließt sich mittlerweile auch Bayerns CSU-Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer an - und legt die Verwerfungen im eigenen Lager offen. Pschierers Ministerpräsident Markus Söder dreht die Lautstärke ebenfalls auf Anschlag und sieht die Politik bereits an einer Weggabelung hinsichtlich ihrer Akzeptanz in der Demokratie. Auch der größte Stimmungsmacher, US-Präsident Donald Trump, mischt mit und verbreitet über Twitter Falschmeldungen zur Kriminalitätsrate in Deutschland.

Über die Stimmung in der Bevölkerung kursieren gegensätzliche Umfrageergebnisse. Im ARD-Deutschlandtrend ist die Kanzlerin weiterhin beliebteste Politikerin des Landes. Hingegen weist das Institut YouGov eine Pattstellung aus: 42 Prozent wollen Merkels Verbleib im Amt, 43 Prozent fordern ihren Rücktritt.

Abgewählt kann sie nicht so einfach werden. Wenn Seehofer gegen Merkels Willen Personen an der Grenze zurückweisen lässt, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, würde die Kanzlerin wohl von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Seehofer würde entlassen. Die CSU träte dann aus der Regierung aus.

Um Merkel zu stürzen, benötigt sie nicht nur eine Mehrheit im Bundestag. Das Parlament müsste sogleich einen Nachfolger wählen. Diese Variante ist ausgeschlossen, zu unterschiedlich sind die Interessen von AfD, FDP, Grünen und Linken. Unwahrscheinlich ist auch, dass CDU und CSU gemeinsam ein Misstrauensvotum gegen Merkel einbringen und den bisherigen Partner SPD dafür gewinnen können. Nur dann würde die große Koalition halten. CDU und SPD könnten auch mit den Liberalen oder den Grünen eine neue Regierung bilden. Die FDP winkt ab, während sich die Grünen Gesprächen nicht verwehren. Zweifelhaft aber, dass sie mit der CDU Konsens finden.

Spaltung links wie rechts?

Die Zeichen stehen dann auf Neuwahlen - worauf sich die SPD bereits einstellt. Kommt es tatsächlich so weit, bleibt in der deutschen politischen Landschaft kein Stein auf dem anderen: Bleibt Merkel CDU-Vorsitzende? Wenn nicht, droht ein Nachfolgekampf. Wird die CSU bundesweit antreten? Dann müsste sie ihre Identität über den Haufen werfen und noch dazu Strukturen in den anderen 15 deutschen Bundesländern aufbauen. Die CDU würde im Gegenzug in Bayern antreten.

Was passiert, wenn CDU und CSU einander künftig ähnlich unversöhnlich wie SPD und Linkspartei gegenüberstehen? Seitdem Gerhard Schröder seine Agenda 2010 durchgepeitscht hat, hat die SPD keine Bundestagswahl mehr gewonnen. Im linken Lager herrscht der Kampf um die Deutungshoheit in der Sozialpolitik.

CDU und CSU streiten hingegen um den Kern der deutschen Nachkriegsgeschichte. "Uneuropäisch" handle die CSU, so die CDU, die wieder offensiv das Erbe Helmut Kohls für sich in Anspruch nimmt. "Antieuropäisch war, was 2015 entschieden wurde", kontert CSU-Generalsekretär Markus Blume in Anspielung auf Merkels Flüchtlingspolitik. Trotz Unmuts wandte sich die CDU bisher nicht gegen Merkel.

Finden die Konservativen künftig keine Gesprächsbasis, droht die nächste Koalitionsbildung noch schwieriger zu werden zwischen den sieben Bundestags-Parteien CDU, CSU, AfD, FDP, SPD, Grüne und Linke. Werden die Alternative für Deutschland und die Linkspartei weiter gemieden, fallen zwei Parteien - und derzeit mehr als 20 Prozent der Stimmen - gleich wieder weg.

Frühestens im September könnten die Deutschen zu den Urnen schreiten. Passiert das tatsächlich, würden sich die so dringenden Reformvorhaben in der EU nochmals verzögern; auch im Asylbereich. Die bereits angespannte deutsch-französische Partnerschaft würde auf eine weitere Probe gestellt. Auf Freude stieße das alles bei den Spaltern der EU: Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin.