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Der sächsische Patient

Von Alexander Dworzak

Politik

In der Hochburg von AfD und Pegida zieht der Fall des Anti-Merkel-Demonstranten Maik G. immer weitere Kreise.


Dresden/Wien. Angela Merkel ist unfreundliche Empfänge gewohnt, wenn sie im Osten Deutschlands auftritt: die "Merkel muss weg"-Sprechchöre, die Spruchbänder gegen sie, die Trillerpfeifen und Vuvuzelas, die ihre Worte übertönen sollen. So geschehen auch in der vergangenen Woche in Dresden. Dennoch war es keine Kundgebung wie alle anderen. Dafür sorgte unfreiwillig Merkel-Gegner Maik G. In der Bundesrepublik wird seitdem wieder über Sachsen diskutiert, über rechte Umtriebe in der Hochburg der nationalpopulistischen AfD und der Pegida-Bewegung.

"Lügenpresse, Lügenpresse!", skandiert Maik G., als er ein Kamerateam sieht, das die Demonstranten auf dem Weg zum unfreundlichen Empfang Merkels filmt. "Hören Sie auf, mich zu filmen. Sie begehen eine Straftat. Sie kommen jetzt mit zur Polizei", sagt der Mann mit schwarz-rot-goldenem Schlapphut zum Team des ZDF-Politmagazins "Frontal 21". Nur wenige Meter entfernt stehen mehrere Beamten und werden aktiv - gegen Kameramann und Reporter. 45 Minuten werden die Journalisten von den Polizisten an ihrer Arbeit gehindert, ihre Presseausweise in dieser Zeit mehrfach kontrolliert.

Erst entfacht sich daraus eine Mediendebatte. ZDF-Chefredakteur Peter Frey kritisiert die "klare Einschränkung der freien Berichterstattung". Anwälte rechtfertigen die Aufnahmen von G. "Durch sein Verhalten hat der Demonstrant dazu beigetragen, dass er selbst zu einem Ereignis wird", sagt Gernot Lehr, Partner der Kanzlei Redeker Sellner Dahs.

Wenig zu befürchten

Doch mittlerweile geht es um mehr, ist doch bekannt geworden, dass es sich bei Maik G. um keinen gewöhnlichen Demonstranten mit alltäglichem Beruf handelt. Sondern um einen Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA). Als Buchprüfer im Dezernat Wirtschaftskriminalität soll er Zugriff auf sensible Daten haben: auf Inhalte des polizeilichen Erfassungssystems und des zentralen Ausländerregisters. Das LKA wollte die Informationen weder bestätigen noch dementieren, es soll seinen Mitarbeiter zu einem klärenden Gespräch aus dem Urlaub beordert haben.

Zwar hat G. keine weitgehenden Disziplinarmaßnahmen zu fürchten, da er nicht verbeamtet ist. "Nach Feierabend kann der machen, was er will", sagt ein Mitglied des sächsischen Parlaments-Innenausschusses der "Welt". Unabhängig davon meint Sachsens SPD-Chef, der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig: "Ich möchte mir nicht vorstellen, dass solche Menschen an sensible Daten kommen. Dass sie diesen Staat vertreten. Das kann nicht sein."

Vorschneller Ministerpräsident

Nachdem das ZDF-Team festgehalten wurde, meldeten sich weitere Journalisten zu Wort. "Ihr seid ja die Lügenpresse. Pegida hat recht, ich schütz’ euch jetzt nur, weil ich eine Uniform anhabe", soll etwa ein Einsatzleiter zu Tobias Wolf gesagt haben, Redakteur der "Sächsischen Zeitung". Im Internet macht der Hashtag "Pegizei" die Runde. 30 Prozent der Polizisten sympathisieren mit "den Rechten", sagte Sachsens früherer Grünen-Chef Jürgen Kasek zur "Rheinischen Post". Immerhin: Sachsens Polizeiführung stellt sich der Kritik, traf sich am Freitag mit dem "Frontal 21"-Team.

Schlechte Figur macht Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er schlug sich vorschnell auf die Seite der Polizisten, twitterte über den vom ZDF dokumentierten Vorfall: "Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten." Das war, bevor sich Maik G. als LKA-Mitarbeiter herausstellte. Mittlerweile gibt sich der Ministerpräsident schmallippig, während Kanzlerin Merkel und Justizministerin Katarina Barley die Pressefreiheit öffentlich hochhalten.

Die SPD geht derweil zum Angriff auf Kretschmer und die CDU über. "Wir haben jahrelang eine Verharmlosung von bestimmten rechten Tendenzen in Sachsen gehabt", sagt Martin Dulig. Seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 stellt die CDU den Ministerpräsidenten im Freistaat. Kretschmer, seit Dezember 2017 im Amt, wollte es anders machen als sein Vorgänger Stanislaw Tillich. Der duckte sich bei den in Sachsen besonders kontrovers geführten Asyldebatten stets weg.

Die AfD, damals noch unter Frauke Petry, nutzte den Spielraum und wurde bei der Bundestagswahl im vergangenen September mit 27 Prozent stärkste Partei im Freistaat. Kretschmer erlebte dabei auch ein persönliches Debakel: Nach 15 Jahren verlor er sein Görlitzer Direktmandat an den AfD-Kandidaten Tino Chrupalla und flog aus dem Bundestag.

Ausgerechnet Kretschmer soll bei der Landtagswahl 2019 den Angriff der AfD abwehren. Diese hat sich Platz eins zum Ziel gesetzt. Die letzverfügbare Umfrage vom Juni sieht die CDU mit 32 Prozent acht Prozentpunkte vor der AfD. Der fehlen für ihr zweites Ziel, den Ministerpräsidenten zu stellen, aber die potenziellen Koalitionspartner.

Kleiner, aber radikaler

Dafür hält sich Sachsens AfD eine Kooperation mit der Pegida-Bewegung offen. Die Gruppierung bringt zwar keine 25.000 Demonstranten mehr auf Dresdens Straßen. Mit der Schrumpfung ging aber die Radikalisierung einher. Auch Martin Sellner, führender Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, trat bei drei Pegida-Veranstaltungen auf, berichtet der sächsische Verfassungsschutz.

Hutträger Maik G. soll im Mai an einer Pegida-Veranstaltung teilgenommen haben. Sein Arbeitgeber prüft dem Vernehmen nach auch, ob der Landeskriminalamts-Beschäftigte Kontakte zur Freitaler Szene hat. Dort artete 2015 der Protest gegen eine Asylunterkunft aus, Teilnehmer einer Willkommensdemo wurden mit Baseballschlägern traktiert, auf das Auto eines Linkspartei-Politikers wurde später ein Sprengstoffattentat verübt. Freital war der Startpunkt für weitere gewalttätige Proteste in Sachsen.