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Lähmender Befreiungsschlag

Von Alexander Dworzak

Politik

Angela Merkel beendet mit ihrem Abgang die Debatte über den CDU-Vorsitz - und eröffnet eine neue über die Kanzlerschaft.


Berlin/Wien. Begeisterung entfachen, das war nie die Sache von Angela Merkel. Für die Stimmungslage in ihrer CDU hatte die Parteivorsitzende und deutsche Kanzlerin aber stets ein gutes Gespür. Im Spätherbst ihrer Karriere schien es ihr abhandenzukommen. Erst ließ sie gemeinsam mit SPD-Chefin Andrea Nahles zu, dass Innenminister Horst Seehofer den umstrittenen Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen heraufloben konnte. Als Funktionäre und Bürger aufschrien, korrigierte das Trio den Fehler. Danach unterschätzte Merkel, wie stark der Wunsch nach Veränderung bei den Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU ist. Ihr Vertrauter Volker Kauder wurde Ende September nach fast 13 Jahren als Fraktionschef abgewählt.

Der Instinkt trog Merkel aber nach den Desastern für die CSU in Bayern und für die CDU bei der Landtagswahl in Hessen nicht, die auch aus dem verheerenden Bild der zerstrittenen Bundesregierung resultierten. Es kann so nicht weitergehen. Merkel erklärte am Montag, sie werde beim CDU-Parteitag im Dezember nicht als Parteivorsitzende antreten.

Eine Ära geht damit zu Ende, 18 Jahre hatte sie das Amt inne - länger als Konrad Adenauer, nur Helmut Kohl übertrumpfte sie mit einem Vierteljahrhundert.

Wunsch nach einem Mann, konservativer als Merkel

Merkel gestand mit ihrem Schritt ein, wie schlecht es um ihre parteiinterne Autorität steht. Parteivorsitz und Kanzlerschaft gehören in die Hände einer Person, und zwar ihre, daran hatte sie bisher keinen Zweifel gelassen. Noch am Abend des hessischen Wahldebakels hielt CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer an dieser Erzählung fest. Keine zwölf Stunden später erklärte Merkel am Montag ihr "Wagnis". Sie wolle dazu beitragen, dass die Regierung ihre Kräfte "auf endlich gutes Regieren" konzentrieren könne. Denn: "Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptabel."

Dafür trägt die Kanzlerin die Letztverantwortung. Sie hatte nicht mehr die Kraft und den Rückhalt, den ständigen Störmanövern ihres Innenministers, CSU-Chef Horst Seehofer, entgegenzutreten. Nur deswegen konnte sich der Sommerstreit über die Zurückweisung von Personen an der deutschen Grenze, die bereits andernorts in der EU Asyl beantragt haben, ein quälend langes Monat hinziehen und fast im Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU enden. Wir bleiben zusammen, notfalls müsst ihr eben gehen, richteten die Abgeordneten Merkel und Seehofer letztlich aus.

Bei Seehofer ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er seine Demission einreichen wird. Er hat zumindest sein Ziel erreicht, Merkel mit in den Abgrund zu reißen.

Rückzugserklärungen alleine reichten aber nicht, damit AfD-Anhänger wieder zur Union zurückkehren, ist Frank Brettschneider überzeugt. "In deren Augen muss nicht nur Merkel weg, sondern auch ihre Politik. Die Öffnung gegenüber städtischen Milieus müsste dann aber zugunsten der Stammwählerschaft abgewickelt werden", sagt der Professor für Kommunikationswissenschaft und Wahlforscher an der Universität Hohenheim in Stuttgart. "Die Mitte" hatte die Merkel-CDU auf ihren Plakaten jahrelang affichiert. Auf ähnliche Weise, als "neue Mitte", holte Gerhard Schröder 1998 die Kanzlerschaft nach den Kohl-Jahren zurück. Merkel demontierte Kernthemen wie Wehrpflicht und Atomkraft, sie erklärte die Ehe für homosexuelle Personen zur Gewissensfrage, also ohne Klubzwang.

Das konservative Aushöhlen ging gut, so lange es rechts von der Union keine Konkurrenz gab. Mit dem Offenhalten der Grenzen im Sommer 2015 - mittlerweile selbst vom Chef der Grünen kritisiert - und dem Kontrollverlust des Staates reanimierte Merkel eine AfD im Selbstzerfleischungsmodus. Die Stimmen von enttäuschten Konservativen und von Protestwählern sind derzeit für die CDU verloren. Diese will und kann kein Bündnis mit einer AfD eingehen, die ihr Heil in bewusster Grenzüberschreitung nach Rechtsaußen sucht. "Die Verluste an die Grünen sind für die CDU hingegen nicht so dramatisch, schließlich kann sie mit ihnen koalieren", sagt Wahlforscher Brettschneider.

Er erwartet daher einen konservativeren Mann als neuen Parteivorsitzenden. "Teile der CDU haben immer mit einer Frau, noch dazu einer Ostdeutschen, an der Spitze gefremdelt. Auch ihr konsensualer Führungsstil könnte abgelöst werden." Gesundheitsminister Jens Spahn passt in dieses Muster, er bereitet Parteikreisen zufolge seine Kandidatur für den Vorsitz an. Der Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz sagt jedoch nicht zu Unrecht über sich: "Bekannt bin, beliebt muss ich erst werden." Dieses Problem hat Annegret Kramp-Karrenbauer nicht, seit sie den formalen Abstieg von der saarländischen Ministerpräsidentin zur CDU-Generalsekretärin machte, anstatt als Ministerin in die schwarz-rote Koalition einzutreten. Sie ist kein Merkel-Double, aber sollte die Partei den großen Schnitt wollen, ist ihr Führungsstil zu nahe an dem der Kanzlerin. Überraschend soll auch Politpensionist Friedrich Merz Interesse am Vorsitz angemeldet haben. Bekannt wurde er durch seine Idee der Steuervereinfachung; die Einkommensteuer sollte auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel ausgerechnet werden können. Der ehemalige Fraktionschef wurde einst von Merkel abgelöst, 2009 verließ er auch den Bundestag. Als möglicher Kandidat gilt auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Er führt den größten CDU-Landesverband, Regierungserfahrung in Berlin hat er jedoch nicht.

Merkel will noch bis 2021 durchregieren

Merkel erspart sich und der Öffentlichkeit mit ihrem Rückzug zwar eine Debatte über ihren Parteivorsitz. Ihr Befreiungsschlag bedeutet zugleich eine Lähmung, denn Merkel kündigte an, sie wolle als Kanzlerin die volle Legislaturperiode bis 2021 dienen und dann aus dem Bundestag ausscheiden. Bis dahin wäre sie im Branchensprech eine "lahme Ente", wie US-Präsidenten in ihrer zweiten und letzten Amtszeit, die gegen den Kongress regieren. Dabei kann sich das politisch und wirtschaftlich wichtigste EU-Land keine Führungsschwäche erlauben. In der EU stehen mit dem Brexit und dem Kurs der italienischen Regierung enorme Herausforderungen an, geopolitisch reichen sie von Donald Trump über Wladimir Putin bis zum Syrien-Krieg und möglichen neuen Migrationsbewegungen Richtung Europa.

Es ist daher kaum vorstellbar, dass sich Merkel tatsächlich noch drei Jahre im Kanzleramt hält. Mit wem auch immer sie in der Zwischenzeit die Führung von Staat und Partei teilen muss, die beiden sollten konstruktiv zusammenarbeiten können. Vielleicht kommt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mit 76 Jahren zu einem zweiten Intermezzo als CDU-Vorsitzender.

Die SPD steht derweil staunend am Seitenrand der Koalition. Sie hat ihren angekündigten Beschluss über Gespräche mit der Union, wie Schwarz-Rot aus der Krise kommt, auf kommende Woche verschoben. Der Oppositionsfetisch der Parteilinken ist noch immer ungebrochen. Von ihr droht weiter Unruhe. Doch gibt Parteichefin Andrea Nahles nach, wird die Partei bei Neuwahlen abgestraft werden. Die Vorsitzende schließt derzeit eine personelle Neuaufstellung bei der SPD aus. Derweil arbeiten Teile der Partei an der Demontage von Nahles und ihrem Vize, Finanzminister Olaf Scholz. Merkel könnte also bald in Gesellschaft sein.

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